Rechtsruck in Schweden fällt geringer aus als erwartet

Bei den Wahlen werden Sozialdemokraten stärkste Kraft, trotz Verlusten. Minus auch für Moderate. Rechtsextreme Schwedendemokraten legen zu, bleiben aber unter ihren Erwartungen. Die Regierungsbildung wird schwierig

Auch Stimmenverluste sind ein Grund zum Jubeln: Unterstützer der Sozialdemokraten in Stockholm Foto: Claudio Bresciani/ap

Aus Stockholm Reinhard Wolff

Das Aufatmen war auf den Wahlpartys der Sozialdemokraten und Moderaten, Schwedens zwei größten Parteien, deutlich zu spüren, als sich gegen Mitternacht das vorläufige Endergebnis der Reichstagswahl abzeichnete: Man war noch einmal davongekommen.

Zwar landeten die Sozialdemokraten mit 28,4 Prozent und einem Minus von 2,8 Prozentpunkten erstmals seit 1911 unter der 30 Prozentmarke und erzielten damit das schlechteste Resultat seit Einführung des Verhältniswahlrechts in Schweden. Aber ein Kollaps der Partei wie in anderen europäischen Ländern konnte vermieden werden. Und sie schaffte es, ihre Stellung als stärkste Partei des Landes behaupten.

Auch bei der CDU-Schwesterpartei, den konservativen Moderaten, setzte sich mit einem Minus von 3,5 auf 19,8 Prozent zwar der Abwärtstrend fort. 2010 hatte sich die Partei noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Sozialdemokraten geliefert, seither aber ein Drittel ihrer WählerInnen verloren. Umfragen hatten jedoch bis kurz vor dem Wahltag noch weit dramatischere Einbrüche für die Moderaten und einen Absturz auf 15 Prozent vorhergesagt.

Die Erleichterung hatte auch mit der Enttäuschung zu tun, die sich gleichzeitig bei den Schwedendemokraten ausgebreitet hatte. Umfrageinstitute hatten der Partei 20 bis 25 Prozent vorhergesagt, sie selbst bis zu 30 Prozent angepeilt und auch eine erste Hochrechnung sah sie immerhin bei knapp 20 Prozent.

Tatsächlich stimmten dann aber „nur“ 17,6 Prozent der WählerInnen für die braune Partei. Ihr Zuwachs von 4,7 Prozentpunkten gegenüber 2014 ist zwar der höchste aller Parteien, weshalb sich der Vorsitzende Jimmie Åkesson auch nicht zu Unrecht zum Wahlsieger ausrufen konnte. Doch dieser Zuwachs hat sich deutlich abgeflacht und die Partei bleibt, was sie schon vor vier Jahren wurde: drittstärkste Kraft.

Für die grüne Miljöpartiet entwickelte sich der Wahlabend zu einer Zitterpartie. Sie lag lange unter der 4-Prozent-Sperrgrenze und konnte sich erst mit Hilfe der Großstadtstimmen dann doch noch knapp auf 4,3 Prozent retten. Das bedeutet ein Minus von 2,5 Prozentpunkten und ihr schlechtestes Reichstagswahlergebnis seit 1991.

Ihre Rolle als Juniorpartner in der ersten rot-grünen Koalition des Landes tat ihr nicht gut. Einerseits ist das nicht verwunderlich, weil sie zentrale Positionen der eigenen Politik, besonders was die Vattenfall-Braunkohle und die Asylpolitik angeht, in der Regierung so gut wie kampflos geräumt hatte.

Andererseits war aber erwartet worden, dass die Partei vom Klimathema, das angesichts von Waldbränden und einem rekorddürren Sommer bei den WählerInnen wieder weit nach vorn gerückt war, profitieren könnte. Man habe versäumt sich in der Klimadebatte zu profilieren, kritisierte Hanna Lidström, Vorsitzende des grünen Jugendverbands.

Wie geht es nun weiter? Auch wenn sich die Stärkeverhältnisse im Reichstag verschoben haben: Es sitzen dieselben acht Parteien wie in der zu Ende gehenden Legislaturperiode im Parlament in Stockholm. Und was den künftigen Ministerpräsidenten angeht, sind zunächst nur zwei Kandidaten im Rennen. Der jetzige Amtsinhaber und Vorsitzende der Sozialdemokraten Stefan Löfven und der Vorsitzende der stärksten Oppositionspartei, Ulf Kristersson von den Moderaten.

In der schwedischen Politik wurde bisher in Blöcken gedacht. Eine parlamentarische Mehrheit von 175 Sitzen hat diesmal aber ebenso wenig wie schon 2014 weder der „linke“ Block aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen noch die liberal-konservative „Allianz“ aus Moderaten, Liberalen, Christdemokraten und dem Zentrum. Zwischen beiden Regierungsalternativen besteht mit zusammen jeweils 144 bzw. 143 Sitzen im Prinzip ein Patt. Bis Mittwoch, wenn die letzten Auslandsstimmen ausgezählt sein werden, ist diese Mandatsverteilung allerdings noch nicht sicher. In Schweden herrscht das System des „negativen Parlamentarismus“, der Minderheitsregierungen begünstigt wie die rot-grüne, die in den vergangenen vier Jahren regiert hat. Anders als beispielsweise in Deutschland braucht ein Regierungschef keine parlamentarische Mehrheit – er darf nur keine gegen sich haben.

Das würde bedeuten, dass die jetzige Regierung unter Stefan Löfven erst einmal im Amt bleiben könnte, solange er nicht selbst zurücktritt oder eine Parlamentsmehrheit ihn absetzt. Diese Mehrheit würde es aber nur unter Einschluss der Stimmen der Schwedendemokraten geben. Dabei haben vor der Wahl alle Parteien des bürgerlich-konservativen Blocks – wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen – betont, sich nicht von den Stimmen der Schwedendemokraten abhängig machen zu wollen.

„Löfven soll selbst zurücktreten“, forderte Ulf Kristersson in der Wahlnacht: „Diese Regierung hätte sowieso nie antreten sollen.“ Stefan Löfven wies das zurück: Er werde im Amt bleiben. Er betonte aber gleichzeitig: „An diesem Wahlabend sollte die Blockpolitik begraben werden.“ Er sei jedenfalls bereit über eine Regierungsbildung über Blockgrenzen hinweg zu verhandeln.

„An diesem Wahlabend sollte die Blockpolitik begraben werden“

Stefan Löfven, Regierungschef und Vorsitzender der Sozialdemokraten

Das hatten die vier Parteien der „Allianz“ vor der Wahl – allerdings ebenfalls mit unterschiedlicher Nuancierung – grundsätzlich abgelehnt. Es ist kein Geheimnis, dass Löfven gern eine Mitte-Links-Regierung seiner Sozialdemokraten zusammen mit den Grünen, den Liberalen und dem liberalen Zentrum bilden würde. Und diese Parteien dürften auch kein Problem haben, sich auf ein Regierungsprogramm zu einigen. Eine parlamentarische Mehrheit hätte eine solche Koalition aber nicht.

„Alles spricht für eine Minderheitsregierung“, meint Ann-Cathrine Jungar, Staatswissenschaftlerin an Stockholms Södertörn-Hochschule. Und die sollte sinnvollerweise allein entweder aus der sozialdemokratischen Partei Löfvens oder der konservativen Kristerssons bestehen, um die größtmöglichste Bewegungsfreiheit für wechselnde politische Mehrheiten zu haben.

Der ehemalige sozialdemokratische Regierungschef Göran Persson und der konservative Ex-Finanzminister Anders Borg schlagen eine große Koalition nach deutschem Vorbild zwischen Sozialdemokraten und Moderaten vor. Die hätte aber auch keine Mehrheit. Und für sie sei die Zeit auch noch nicht reif, meint der Parteienforscher Anders Sannerstedt von der Universität Lund. Er hält sowieso „eine Koalition über Blockgrenzen hinweg für nicht wahrscheinlich“. „Diese tiefe Kluft hat die schwedische Politik seit über 100 Jahren geprägt“, sagt er. Sie bestehe immer noch.

In zwei Wochen tritt der neu gewählte Reichstag erstmals zusammen. Scheitern vier Versuche für eine Regierungsbildung gibt es Neuwahlen.

meinung + diskussion