Bildungsminister Tesch über Schulreformen: "Förderschüler haben Perspektiven"

Für mich stehen die frühkindliche Bildung und die Ausbildung der Erzieher im Mittelpunkt, sagt Henry Tesch, Bildungsminister von Mecklenburg-Vorpommern und Präsident der Kultusministerkonferenz.

Erste Chemieexperimente im Kindergarten. Bild: dpa

taz: Herr Tesch, der Bund will 6,5 Milliarden Euro in Bildungsinstitutionen investieren. Wird das reichen?

Henry Tesch (CDU) 46, Lehrer und Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Seit Montag leitet er als Präsident die Kultusministerkonferenz (KMK).

Henry Tesch: Es wird nicht ausreichen, aber es ist gut, dass in so schwierigen Zeiten Schwerpunkte gesetzt werden. Der Bund ist den Ländern sehr weit entgegengekommen, und nun liegt es an uns, das Geld in kluge Projekte zu stecken. Ich hoffe nur, und das sage ich als künftiger Präsident der KMK, auch im Namen meiner Kollegen, dass das die 6,5 Milliarden Euro am Ende auch bei den Bildungsressorts landen.

Sie hoffen - aber mitreden dürfen Sie nicht.

Klar, ist es immer gut, dicht dran zu sein. Aber wir schauen eher auf die Ergebnisse. Nehmen wir den Bildungsgipfel. Die Kultusminister hatten ein einheitlich abgestimmtes Papier vorgelegt - und davon haben die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten einen großen Teil aufgegriffen, etwa die Halbierung der Schulabbrecherquoten.

Was werden Ihre Schwerpunkte als KMK-Präsident sein?

Mir schwebt als Überschrift für meine Amtszeit vor: die Besten für die Jüngsten. Die frühkindliche Bildung und die Ausbildung der Erzieher stehen für mich im Mittelpunkt. Die Länder haben da traditionell unterschiedliche Ansätze. Ich frage mich, ob man nicht grundsätzlich in jeder Kindergartengruppe eine Erzieherin oder einen Erzieher mit Hochschulausbildung braucht.

Was ist mit den Hauptschülern? Die KMK wollte diese von den Standards für allgemeinbildenden Schulen abkoppeln.

Wichtig ist, dass man das Niveau für Hauptschüler nicht senkt. Das ist in der Diskussion über die Bildungsstandards unter den Kultusministern klar geworden.

Eine länderübergreifende Initiative zur Förderung der am meisten benachteiligten Schüler ist aber nicht in Sicht?

Nein, das Ziel ist umgekehrt. Man sollte generell individuelle Förderung in Deutschland nach vorn bringen und sich nicht in Schulartengefechten verlieren.

Also keine Debatte über Schulstrukturen?

Auf keinen Fall. Die Zeit der Ideologien ist an dieser Stelle vorbei.

Pardon, aber verschiedene Schulstudien zeigen, dass die soziale Auslese im gegliederten Schulsystem enorm ist. Die hohe Zahl von sogenannten Risikoschülern sitzt gerade in den Hauptschulzweigen. Was machen die Kultusminister mit diesem Wissen?

Wir brauchen einen anderen Unterricht und eine andere Ausbildung der Lehrer. Da tauschen sich die Länder untereinander auch schon aus, wie verschiedene Niveaus im Unterricht integriert werden, welche flexiblen Schulausgangsphasen es gibt.

Ganztagsschulen sind ein Weg, gerade sozial benachteiligte Schüler besser zu fördern. Das Ganztagsschulprogramm des Bundes läuft aber dieses Jahr aus, sehen die Kultusminister da einfach zu?

Es ist ziemlich egal, ob man Ganztagsschulprogramm drüber schreibt oder die Länder selbst in diesem Bereich Schwerpunkte setzen. Durch das Konjunkturpaket der Bundesregierung werden doch gewaltige Investitionen in die Bildung fließen.

Besteht nicht die Gefahr, dass alle möglichen Programme mit diesem Geld finanziert werden, das schon zur Sanierung für marode Gebäude nicht reichen wird?

Wir müssen nur die richtigen Schwerpunkte setzen und das Geld nicht mit der Gießkanne verteilen.

Heißt das, die Ausgaben für Bildung müssen in Bund und Ländern ab sofort kontinuierlich steigen?

Zumindest dürfen sie in den Ländern, die Schwierigkeiten mit dem Haushalt haben, nicht sinken, und perspektivisch sollten Schwerpunkte erkennbar sein.

Sie haben einen sehr preisgünstigen Vorschlag gemacht, wie die Zahl der Schüler ohne Abschluss gesenkt werden kann. Sie wollen einen speziellen Förderschulabschluss. Mit dem haben die Jugendlichen zwar kaum Chancen, aber sie sind aus der Statistik verschwunden.

Da bin ich missverstanden worden. Das ist kein Statistiktrick. Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern rund 10 Prozent Schulabbrecher, das sind alle, die keinen Hauptschulabschluss haben. Aber man muss hier trennen. Es gibt Förderschüler, die an Förderschulen sehr wohl einen Abschluss schaffen, und ich möchte nicht, dass der Abschluss eines Förderschülers als Schulabbruch gilt. Denn so demotiviert man jene, die an einer Förderschule lernen. Es geht natürlich auch darum, zu fragen, ob wirklich alle, die an einer Förderschule lernen, dort zwangsläufig hingehören.

Wenn Sie eigene Abschlüsse schaffen, festigen Sie das Förderschulsystem. Die UN fordert dagegen, diese Schulen abzuschaffen und die Kinder in Regelschulen zu integrieren.

Wir reformieren gerade das Schulsystem in Mecklenburg-Vorpommern so, dass wir zwar den Istzustand abbilden, aber gleichzeitig auch Möglichkeiten schaffen für jene, die andere Schritte gehen wollen. Aber das ist ein Prozess, man kann es nicht verordnen.

Wie lange dauert es, bis alle Förderschüler in Ihrem Bundesland an Regelschulen lernen?

Ich weiß nicht, ob das Modell am Ende so ist, dass generell jeder Förderschüler an einer Regelschule unterrichtet wird. Ich glaube sehr wohl, dass Förderschüler Berufsperspektiven haben und etwa in Gartenbaubetrieben Arbeit finden. Allerdings soll es mehr Möglichkeiten geben für diejenigen, die es wollen, andere Wege zu gehen. Dazu gehört auch, dass Schüler, Lehrer und Eltern vor Ort über eine sinnvolle Diagnostik reden und dass Schulen eigenständiger werden. Daneben wird es das bestehende Förderschulsystem weitergeben.

Was passiert eigentlich mit den sogenannten Zwergschulen in Mecklenburg-Vorpommern, für die es kaum noch Erstklässler gibt?

Im Jahr 1991 haben wir noch 30.000 Erstklässler gehabt, jetzt sind es nicht einmal 13.000. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es weitere erhebliche Schließungen gibt.

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