: GAU der Glaubwürdigkeit
Die Belastung durch Cäsium 137 im Versuchsendlager Asse ist stärker als bislang angenommen: Grenzwerte wurden um bis das Achtfache überschritten. Das Umweltministerium sieht keine Gefahr. Parteiübergreifend Kritik an der Informationspolitik
VON KAI SCHÖNEBERG
Das Versuchsendlager Asse im Landkreis ist viel stärker durch Cäsium 137 belastet als bislang bekannt. In 750 Metern Tiefe sickert offenbar schon seit Anfang der 90er Jahre radioaktive Lauge in das ehemalige Bergwerk, an einer Stelle ist es bis zum achtfachen des zulässigen Grenzwertes belastet, an weiteren Stellen wird der Wert dreifach überschritten. Das stellte sich am Montag im Umweltausschuss des niedersächsischen Landtags heraus. In einer Mail an den Landkreis Wolfenbüttel hatte die Asse-II-Betriebsleitung Ende April noch davon gesprochen, die Belastung durch das Cäsium 137 liege im Bereich der „Umweltradioaktivität“. Als „verantwortungslose Panikmache“ hatte damals das für die Aufsicht zuständige Umweltministerium Vorwürfe, eine weitere Panne in der Asse solle vertuscht werden, abgetan.
Nun ist man auch hier alarmiert. Umweltstaatssekretär Stefan Birkner sagte zur taz, die Informationspolitik des Asse-Betreibers, die Münchner Helmholtz-Gesellschaft, sei „verbesserungswürdig“, er werde das künftig „thematisieren“. Trotz der Grenzwert-Überschreitungen habe es „zu keiner Zeit eine Gefahr für Mensch oder Umwelt“ gegeben, betonte Birkner.
„Scheibchenweise“ komme die Wahrheit ans Licht, kritisierten Martin Bäumer (CDU) und Christian Dürr (FDP). Die Vertreter der Helmholtz-Gesellschaft hätten im Ausschuss „wichtige Fragen offen“ gelassen, betonten die Umweltexperten. Von einem „GAU der Glaubwürdigkeit“ sprach Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel. „Hier wird etwas heruntergespielt“, sagte Marcus Bosse (SPD). „Wir haben die Bedeutung der Grenzwerte vielleicht unterschätzt“, gab Helmholtz-Sprecher Heinz-Jörg Haury zu. „Da das nie nach außen geht, waren wir auch nicht der Meinung, dass wir an die Öffentlichkeit gehen müssten“, sagt Haury. Die zuständigen Behörden seien informiert worden.
Die Asse, in die von 1967 bis 1978 rund 126. 000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll gekippt wurden, bereitet den Verantwortlichen auch ohne Cäsium Kopfzerbrechen. Seit Ende der 80er Jahre sickert Lauge in das ehemalige Bergwerk, die Asse droht abzusaufen. Nun soll sie stabilisiert und dann verschlossen werden. Die Zeit drängt: Laut Studien könnte die Asse ab dem Jahr 2014 einstürzen. Kritiker fürchten gefährliches Flickwerk, Anwohner aus der Region sind beunruhigt.
Das Cäsium 137 ist ein zusätzliches Problem. Da es in der Natur nicht vorkommt, fürchtet der Asse-II-Koordinationskreis, es komme von der Oberfläche, vielleicht von Atomversuchen oder durch Eintragungen vom Tschernobyl-Unfall. Das schließen Experten aus: Ihrer Ansicht nach haben wahrscheinlich Gabelstapler beim Einlagern Atommüllfässer aufgerissen und dann die Radioaktivität in den Stollen verteilt.
Da in 750 Metern Arbeiten durchgeführt werden müssten, pumpe man die mit Cäsium belastete Lauge in eine Tiefe von 975 Metern, erklärt Helmholtz-Sprecher Haury: „Um das Personal zu schützen.“ Dennoch hält er die Cäsium-Belastung – es handelt sich um rund 80 Kubikmeter – für „nicht besorgniserregend“. Laut einer Berechnung des Bundesamts für Strahlenschutz entsprechen die gemessenen 80.000 Becquerel dem Verzehr von 20 Kilo durch den Fallout in Tschernobyl verseuchte, in Bayern geerntete Pilze. Oder der 20-fachen Belastung durch Höhenstrahlung bei einem Flug von Frankfurt nach Gran Canaria. Anstatt die Lauge zwischenzulagern, „wird sie einfach ein paar Schichten tiefer in der Asse versumpft“, ärgert sich SPD-Mann Bosse.
Ihm stelle sich „die Frage, ob die Arbeiten in der Asse gestoppt werden sollten“. Der Grüne Wenzel fragte, ob stark mit schwach belasteter Lauge gemischt worden sei, um Grenzwerte zu unterschreiten. Der Linke Kurt Herzog ärgerte sich, dass das Umweltministerium „als genehmigender Teil des ‘Sumpfes‘“ die Landtagsgremien nie über das Cäsium informiert habe. Motto: „Verklappen, vertuschen, vergessen.“