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Das neue Wahlrecht sorgte für Überraschungen. Sehr viele Direktmandate bei den kleinen Parteien GAL und Linke, Favoritenstürze bei der SPD. Glaubwürdigkeit und Bekanntheitsgrad werden wichtiger

EINE ANALYSE VON SVEN-MICHAEL VEIT

Das neuen Wahlrecht, bei der Bürgerschaftswahl am vorigen Sonntag erstmals angewendet, hat für manche Überraschungen gesorgt. Zwar wird das vorläufige amtliche Endergebnis erst heute vorgestellt, das tatsächliche amtliche Endergebnis soll am 5. März vorliegen. Gleichwohl können bereits einige Aussagen gemacht werden.

Direktmandate

Die beiden kleinen Parteien GAL und Linke haben deutlich mehr Direktmandate erobert als prognostiziert. Die Hamburger Wahlforscher von election.de hatten für die 71 Mandate in den 17 Wahlkreisen vorhergesagt: 35 CDU, 28 SPD, 7 GAL, 1 Linke. Das Ergebnis aber lautet: 31 CDU, 26 SPD, 11 GAL, 3 Linke.

Offenbar haben bei der Wahl der DirektkandidatInnen die Faktoren lokaler Bekanntheitsgrad, persönlicher Einsatz vor Ort und Glaubwürdigkeit eine höhere Rolle gespielt als vorhergesehen. Das ist BewerberInnen der kleineren Parteien eher zu Gute gekommen als einem dritten Kandidaten der beiden großen Parteien.

Dazu passt, dass in einer Reihe von Fällen bei CDU und SPD die von den Parteien vorgegebene Rangfolge von den WählerInnen verändert wurde. So liegt im Wahlkreis 2 Altona bei der SPD der auf Rang 4 geführte Bülent Ciftlik (Portrait Seite 22) weit vor Britta Ernst (Rang 1) und Walter Zuckerer (Rang 2). Ciftlik und Ernst bekommen Mandate, Zuckerer hat das Nachsehen.

Ähnlich ging es auch im Wahlkreis 14 Rahlstedt aus. Lokalpolitiker Ole Thorben Buschhüter holte auf Rang 3 ein Mandat vor den auf 1 und 2 vorgeschlagenen Bürgerschaftsabgeordneten Günter Frank und Aydan Özoguz. Die Migrationspolitikerin scheidet nach mehr als sechs Jahren aus der Bürgerschaft aus.

Bei der CDU blieben solche Favoritenstürze aus. In etlichen Fällen gingen die Spitzenkandidaten des Wahlkreises aber nur auf Platz durchs Ziel. So muss sich im Wahlkreis 13 Walddörfer CDU-Fraktionsvize Frank-Thorsten Schira mit Rang 2 hinter dem Bürgerschafts-Hinterbänkler Thilo Kleibauer begnügen. Ob das Schiras Chancen mindert, Chef der neuen CDU-Fraktion zu werden, bleibt abzuwarten. Bei der GAL und den Linken wurde jeweils der an Platz 1 rangierende Direktkandidat gewählt, wenn auch vier beziehungsweise zwei mehr als prognostiziert.

Listenmandate

Von den 50 Mandaten über die Landeslisten erhalten CDU 25, SPD 18, GAL 2 und Linke 5. Am auffälligsten ist der Kontrast bei der GAL mit 11 Direkt- und 2 Listenmandaten. Bei der Linken ist das Verhältnis 3 zu 5, bei der SPD 26 zu 18 und bei der CDU 31 zu 25.

Der nahe liegendste Schluss, der daraus zu ziehen ist, lautet: Viele Abgeordnete der Grünen sind glaubwürdiger und beliebter als ihre Partei, die bei den Erststimmen – gegenüber 2004 sank sie von 12,3 auf 9,6 Prozent – deutlich verlor. In der Konsequenz kommen nur noch zwei Abgeordnete ohne Direktmandat von den Listenplätzen 5 und 6 in die Bürgerschaft.

Verena Lappe, zurzeit noch Vizepräsidentin der Bürgerschaft, und Stadtentwicklungspolitiker Claudius Lieven sind auf den als sicher geltenden Rängen 7 und 8 die Ersten, die nun das Nachsehen haben. Dies wird eines der Phänomene sein, die Wahlforscher nun zu untersuchen und zu erklären haben.

Bei der SPD hingegen gehen die 18 Listenmandate exakt an die Nummern 1 bis 18 auf der Landesliste, die 25 der CDU verteilen sich bis Rang 27. Woraus gefolgert werden kann, dass die Strategen in den beiden Volksparteien sehr viel besser wussten, wer wo am aussichtsreichsten zu platzieren war.