ACHSE DES INDIE-POP VON RENÉ HAMMANN
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Der Prinz der Einsiedlerei

Absolute Lieblingsband zurzeit, was den Kritikzenit natürlich erheblich einschränkt. Aber so ist es eben: Jedes Mal, wenn ich diese Platte höre, denke ich, wie groß diese Band eigentlich sein müsste. Stattdessen führt sie seit sieben Schallplatten (das hier ist die achte) ein Schattendasein, was wohl daran liegt, dass auf Of-Montreal-Platten zu viele Ideen verbraten werden, das Ganze für Glam-Pop zu schräg ist, zu gewagt, zu überbordernd. Es gibt nur eine vergleichbare Größe: Prince, bis ungefähr zur Batman-Platte.

Auch hier macht einer alles. Kevin Barnes, ursprünglich aus der R.E.M.- und B-52-Stadt Athens, Georgia, schreibt die Songs, er spielt die Instrumente und nimmt sie auf. Alles im Alleingang. Mittlerweile geht so etwas ja einfacher, da braucht man nur eine Wohnung, einen Laptop und ein paar Zusatzinstrumente für. Aber auch der Output ist ähnlich hoch wie beim Workaholic aus dem Paisley Park – jedes Jahr eine Platte, und, oh Himmel, auf den Vinylversionen gibt es sogar Bonusmaterial.

„Hissing Fauna“ stellt die Hinwendung zum Achtziger-Pop im Werk des weirden Südstaatlers dar, natürlich wird er das grundeigene Indie-Geschrammel nicht vergessen. Die Stücke handeln vom Einsiedlerleben im lichtlosen Oslo, wo Barnes’ Frau und Kind hingezogen ist, von den postnatalen Depressionen eines Mannes, der von seiner gewohnten Außenwelt abgeschnitten ist. Schafft man es über den anstrengenden Eröffnungstrack hinweg, öffnet sich ein neues Universum.

Of Montreal: „Hissing Fauna, Are You the Destroyer?“ (Polyvinyl/Cargo)

Abba für den Hipster von heute

Ebenfalls schon eine Weile around sind Deerhoof aus San Francisco, inzwischen wieder zum Trio geschrumpft. Das Fehlen des Vierten, Chris Cohen, fällt allerdings nicht besonders auf, der Sound ihrer neunten Platte ist gewohnt vielschichtig, krachig und breit.

Überhaupt geht es für Deerhoof nach der erfolgreichen Platte „The Runners Four“ und Touren mit Radiohead und den Flaming Lips weiter aufwärts, direkt in den bonbonfarbigen Pophimmel, nur dass die Farben mit einer Pumpgun verteilt worden sind. Groß glänzende Versatzstücke zu kleinen Popstücken zusammengesetzt. Und umgekehrt. Schief-sperrige Gitarren, abstrakte Rhythmen und Tempowechsel, quietschige Synthies und listig importierte Elektronikelemente. Darüber der piepsige Gesang der kleinen Japanerin Satomi Matsuzaki.

Dekonstruktion und Rekonstruktion haben nie geiler geklungen. Deerhoof tragen Math-Rock auf links, verneigen sich Richtung Krautrock, Speedmetal, Volksmusik und Kammerelektronik und sind nichts weniger als alle Teile zusammengenommen. Sie sind groovy, funky, disharmonisch und harmonisch. Sie kommen aus dem Riot-Girl-Umfeld des amerikanischen Kill-Rock-Stars-Label und könnten so etwas wie die Abba für linksbewegte Studenten werden. Anspieltipps auf „Friend Opportunity“: die ersten beiden Stücke, „The Perfect Me“ und „+81“ und das von John Dieterich gesungene „Cast Off Crown“.

Deerhoof: „Friend Opportunity“ (Tomlab/Indigo)

Große kleine Gefühlsmusik

Noch eine Band, die alles richtig macht. Bei Au Revoir Simone handelt es sich natürlich (oder: leider) nicht um Französinnen, sondern um drei Cineastinnen aus New York, die sich nach einer Verabschiedung aus einem Tim- Burton-Film benannt haben. Ihr Debüt „The Bird of Music“ wartet mit cleverem Keyboardpop auf, der viel aus den Achtzigern wie Sechzigern gelernt hat und überhaupt nicht nach New York klingt.

Drei Frauen an drei Synthesizern und fünf Drumcomputern, das ist auch ein Gegenentwurf zu Depeche Mode: Von religiösen Gefühlen in einem Meer aus Verzweiflung fehlt jede Spur, die Musik will auch nicht Avantgarde sein oder deren Ansätze für das Stadion missbrauchen. Im Gegenteil: Au Revoir Simone machen eine kleine Gefühlsmusik, ganz im deleuzeschen Sinne. Eine Musik von unter den Bäumen, eine Musik für rotweißkarierte Picknickdecken.

Vollelektronische Popsongs ohne Tanzzwang, dafür mit dem Wissen alltäglicher wie auch politischer Tragik und der Kraft der Versöhnung. Das Tempo steigt erst bei Stück 7 an, „Dark Halls“, dafür lassen sich alle Stücke prima mitsingen (die Texte sind trotzdem raffiniert). „A Violent Yet Flammable World“ ist ein weiteres Glanzstück mit diesem wunderbaren Be-My-Baby-Beat, die Synthieflächen könnten manchmal von New Order stammen und die Melodien von Ladytron. Und unter allem schwebt der Geist der Beach Boys – richtig großer Popmusik also.

Au Revoir Simone: „The Bird of Music“ (Moshi Moshi/Cooperative Music/RTD)