theater, treffen etc.
: Drei Punkte Konsens

Man hofft ja immer, auch als Zeitung: dass sich, wenn die Jury des Theatertreffens ihre Auswahl von zehn Inszenierungen bekannt gibt, genügend Stücke darunter befinden, die man selbst auch als wichtig und zukunftsweisend befand; zu große Übereinstimmung hingegen wäre verdächtig, das sähe nach Mainstream aus und Kritikerkungelei. Insofern bereitet die diesjährige Entscheidung gewisse Befriedigung, sind doch drei Produktionen darunter, deren herausragende Rolle in der Erweiterung des Theaterbegriffs man schon vorausgeahnt hat.

Da steht an erster Stelle die Inszenierung „Der Kick“, von Andres Veiel für das Gorki Theater Berlin entwickelt, die gerade erst auch in einer Verfilmung von Veiel auf der Berlinale lief. Veiel ist nicht nur Regisseur, sondern vor allem auch zusammen mit Gesine Schmidt Autor und Rechercheur der Geschichte um eine Gewalttat auf dem Land, an der psychologische und politische Erklärungsmuster versagen. Es ist eine differenzierte und ernste Darstellung, die dem Theater als Ort des Dokumentarischen mit Erfolg viel abverlangt. Mit Recherche und Dokumentation arbeitet auch eine zweite Inszenierung, „Wallenstein“ von Riminiprotokoll, wenn auch viel verspielter, stilisierter und lustiger: Das schillersche Drama und seine Konflikte um Machterhalt, Loyalität und Karriere liefert die Fragen, die amerikanische Vietnamveteranen, ein CDU-Politiker, ein Polizeidirektor und weitere „Alltagsspezialisten“ auf ihr eigenes Leben beziehen.

Dazu passt sogar die dritte Entscheidung, für Forsythes „Three Atmospheric Studies“, denn auch dieses Tanzstück ist Ergebnis einer Recherche: über die Nichtnacherzählbarkeit von Gewalt, über das Zerstören von Wahrnehmung und das Aushebeln der Logik in Situationen des Krieges.

Darüber hinaus spiegelt die Auswahl ein wiedergewonnenes Vertrauen in die Klassiker: einmal Shakespeare, dreimal Tschechow, einmal Ibsen. Letzteres wird besonders die Schaubühne in Berlin freuen, die mit „Hedda Gabler“ in der Regie von Thomas Ostermeier dabei ist. Die Ehrung der Einladung wird die Schaubühne in ihrem Protest gegen Kürzung ihres Etats bestätigen. So bringt das Theatertreffen auch Wind in die Kulturpolitik.

KATRIN BETTINA MÜLLER