Lauernde Verunsicherungen

Schriften zu Zeitschriften: „Bella Triste“ verhandelt die Zukunft der Literatur, „Am Erker“ das literarische Scheitern

Die Zukunft der Literatur hat lange begonnen, lässt aber hierzulande auf sich warten. „Der Literaturbetrieb“, so der 1969 geborene Schriftsteller Ingo Niermann in einem Essay für die jüngste Ausgabe der Literaturzeitschrift Bella Triste, „verschanzt sich in einem klar begrenzten, ständig kleiner werdenden Ghetto“, und das Schreiben, Redigieren und Editieren am Computer sowie die Recherchemöglichkeiten des Internets seien folgenlos verdaut: „Autoren und Leser trotzen gemeinsam der modernen Unruhe.“

Warum das so ist, erklärt Niermann mit einem Streifzug durch die Produktionswelt der Literatur und einem Blick auf die bildende Kunst vom 19. Jahrhundert bis heute. Das beider Sich-Erwehren der digitalen Bilderflut sieht er als nicht sehr zeitgemäß an: „Sollen ausgerechnet Literatur und Kunst die Welt vor falschen Bildern schützen?“

Auswege aus dem selbstgeschaffenen Ghetto könnte für Niermann, wer hätte das gedacht?, das offensive Zusammengehen mit den neuen Medien sein, wobei, „wie im Comic“, Bilder und Musik Literatur begleiten und an ihr teilhaben sollen, Stichwort Websites, Blogs etc. Oder der gänzliche Verzicht auf eine eigene Sprache, so wie Niermann das durchexerziert hat, als er gleich Walter Kempowski in seinem Protokollbuch „Minusvisionen“ lediglich als Dokumentar und als Arrangeur seines Materials auftrat: „Häufig mußte ich das Gesagte den Sprechern gegenüber in Schutz nehmen, die eine größere Bearbeitung wünschten. Ich war dann eher als ein Anti-Autor tätig.“

Freilich beschreibt Niermann diese Minus- und Plusvisionen der Literatur in einer Zeitschrift, die analoger nicht sein könnte; die trotz ihres Titels, eine „Zeitschrift für junge Literatur“ zu sein, und trotz eines großzügigen Bildteils einen klassischen, textlastigen Zuschnitt hat. Es dominieren belletristische Texte von jungen Autoren und Autorinnen, die wie die Herausgeber von Bella Triste in Hildesheim den Studiengang Kreatives Schreiben absolvieren oder am Deutschen Literaturinstitut Leipzig eingeschrieben sind; Texte also, die demnächst auch in Klagenfurt oder beim Open Mike in Berlin ihre Premiere haben könnten, und die so anfangen: „Draußen wird immer weniger“ (Oje!). Oder so: „Es ist, wenn ich nicht fähig bin zu denken, schrecklich“ (Oje, oje!). Oder so: „In der Nacht, in der wir schneller als geplant bei Emilia ausziehen müssen, bin ich gegen halb zwölf vom Verkaufen zurück und Zipko schreit aus der Küche: ‚Manipuliert den Fernseher in obere Regionen, ich kann nix hören.‘“

Das typische Auf und Ab junger Literatur also; das von den Bella-Triste-Machern aber, und das unterscheidet die dreimal jährlich erscheinende Zeitschrift von den vielen unzugänglichen ihrer Art, immer mit einem schönen, nicht zuletzt den Literaturbetrieb in den Blick nehmenden Editorial eingeleitet und aufgebockt („im Texthintergrund lauernde Verunsicherung“) und am Heftschluss mit einem Interview gerahmt wird: Der 1964 geborene Schriftsteller Rainer Merkel erläutert dieses Mal, wie wichtig es ist, Demut vor dem eigenen Material zu haben, und warum es toll ist, dass man beim Schreiben so viel Energie verbraucht.

Dass man eine Menge Energie haben muss, nicht nur beim Schreiben, angesichts des täglich drohenden Scheiterns, sondern auch angesichts des realen Scheiterns auf dem Buchmarkt, das verhandelt die in Münster ansässige und zweimal jährlich produzierte Literaturzeitschrift Am Erker. Sie versammelt Essays und kurze Geschichten zum literarischen Scheitern; Essays, die eine Literaturgeschichte des Scheiterns vorstellen oder in denen der Schriftsteller als eine Figur dargestellt wird, die nur das kleinste Rädchen im übermächtigen Literaturbetrieb bildet. Die Geschichten stammen meist von etablierteren Autoren, die schon auf eine Reihe von Veröffentlichungen blicken können.

David Wagner erzählt, wie er eines Tages seine Bücher auf dem Grabbeltisch findet und was das für ein Gefühl ist. Marcus Jensen schreibt zwei Briefe an einen jungen Kollegen, gibt ihm zweimal zehn rostig-goldene Regeln mit auf dem Weg und denkt den möglichen postumen Ruhm gleich mit: „Wenn Sie an Ihren Nachlass denken, ist das Selbstbefriedigung mit Vorlage.“ Auch Georg Klein ist dabei, wohl gerade weil er am besten weiß, wie das Scheitern sich anfühlt: Jahrelang schrieb Klein für die Schublade, bevor er mit den Romanen „Libidissi“ und „Barbar Rosa“ in seinen späten Vierzigern noch ein Literaturstar wurde.

Klein erzählt, wie er ein Kapitel von „Libidissi“ zweimal an zwei verschiedenen Orten schrieb, und wundert sich über die Deckungsgleichheit in Wort und Sinn: „Regelmäßig steht Ich, obschon selbst ein ausgekochter Halunke, ohne Deckung auf verlorenen Posten.“ Ob das mit dem Ich anders wird, wenn man, wie Ingo Niermann vorschlägt, den Literaturraum auch technomedial vergrößert, das sei dahingestellt. GERRIT BARTELS

Bella Triste, Nr. 13, 4 €, Am Erker, Nr. 50, 7,50 €