Das größte aller Künstlergeschenke

Ein Ort, an dem das Wünschen zuletzt wenig geholfen hat: Die Berliner Akademie der Künste erstrahlt in diesen Tagen in weihnachtlichem Ambiente. Nur dass sich die Wunschträume, die diese Institution produziert, diametral widersprechen – wie der Streit um ihren zurückgetretenen Präsidenten zeigt

VON DIRK KNIPPHALS

Ein gewaltiger Weihnachtsbaum steht in Berlin auf dem Pariser Platz, zwischen Brandenburger Tor und der Akademie der Künste – von einer bestimmten Perspektive aus gesehen wirkt es fast so, als würde die Akademie wie ein Geschenk direkt unterm Baum liegen. Die Glasfassade des Akademiegebäudes glüht auch noch so hübsch. Fehlt nur noch eine große Schleife drum herum.

Es wurde in und um die Akademie ja zuletzt viel gestritten– Adolf Muschg trat als Präsident zurück, weil er die Vorsitzenden der einzelnen Sektionen (Literatur, Musik, Architektur usw.) als Reformbremser empfand, Peter Härtling als einer dieser Vorsitzenden sagte dann, dass Muschg sich „wie ein absolutistischer Fürst“ aufgeführt habe, während Günter Grass Muschg beiseite sprang mit der Bemerkung, die Leiter der Sektionen würden in ihrer „Kurfürstenherrlichkeit“ wirklich die Arbeit der gesamten Organisation behindern …

Es wurde also fürstlich gestritten – und, wie es mit Zufällen manchmal so ist, gerade bei dem augenblicklich weihnachtlich umglänzten Anblick der Akademie kann einem deutlich werden, worum es in diesem Streit geht, neben der vordergründigen Auseinandersetzung natürlich, dass ein Präsident sich als Zentralinstanz mehr Macht zuschanzen wollte, als die einzelnen Abteilungen ihm zubilligen wollen. Es geht in dem Streit nämlich darum, dass die Akademie eine große Maschine zur Wunschproduktion ist, zumindest in der Imagination also genau das, wonach sie in diesen Tagen (aus einer bestimmten Perspektive betrachtet) auch aussieht: ein mögliches, und zwar überwältigendes Geschenk. Nur dass sich die Wunschträume hier diametral widersprechen. Und dass, außer zur Vorweihnachtszeit, Wünschen allein sowieso nichts Abendfüllendes hat.

Adolf Muschg träumte den ebenso altehrwürdigen wie naiven Intellektuellentraum, dass die Dichter gehört werden in dieser Republik, dass man freundlich nickt, wenn sie etwas über die Gesellschaft sagen, und noch basaler, dass die Dichter auch tatsächlich etwas zu sagen haben, wenn sie etwas über die Gesellschaft sagen. Das reale Akademiegebäude am Pariser Platz mag seine Schwächen haben (unzweckmäßige Raumaufteilung, verschimmelte Keller), aber in seiner zentralen Platzierung, zwischen Reichstag, Holocaustmahnmal, Potsdamer Platz und Unter den Linden, muss es Muschg vorgekommen sein wie die Verwirklichung eben eines lang gehegten Traumes.

Kein Wunder, dass seine Äußerungen als Präsident oft etwas Klagendes hatten und dass er enttäuschungsanfällig ist: Um seinen Traum zu schützen, muss er Schuldige dafür finden, dass es mit dem Gehörtwerden und auch dem Etwaszusagenhaben nicht recht klappt. Denn daran haperte es zuletzt doch ziemlich. Die reale Akademie muss Muschg vorgekommen sein wie ein fader Abglanz, eine degenerierte Form der von ihm imaginierten möglichen Akademie. Er sei, sagt er im aktuellen Spiegel, Opfer einer „Zusammenrottung“ gegen ihn geworden. Viel wahrscheinlicher wurde er das Opfer seines eigenen Traumes. Statt Einfluss und Möglichkeiten der realen Akademie zu mehren, hing er der Vorstellung einer idealen Akademie an.

Und die Sektionsleiter? Sie träumen offenbar einen anderen ebenso altehrwürdigen wie naiven Kunsttraum: den vom Freiraum der Kunst; den davon, einmal in die Akademie aufgenommen, nicht mehr behelligt zu werden von den angeblich niederen Dingen wie Finanzierung, Produktionsdruck und Einschaltquoten. In diesem Traum ist die Akademie sich selbst genug, und Ansprüche an sie zu stellen ist von vornherein problematisch. Das wäre wirklich ein großes Geschenk! Ob es aber zeitgemäß ist, das darf man bezweifeln. Und spätestens zum nachweihnachtlichen Geschenkeumtauschen macht das Verschlafene, das die Akademie derzeit ausstrahlt, auch keinen heimeligen Eindruck mehr. Es wirkt dann nur noch verschlafen.

Wenn man nur ein paar Schritte weitergeht, ändert sich für den Betrachter die Perspektive übrigens gehörig. Dann sieht die Akademie nicht mehr wie ein Geschenk unterm Weihnachtsbaum aus, dann steht sie fremd und sperrig inmitten all des Weihnachtstrubels des Pariser Platzes. Wie ein falsch abgebogenes Raumschiff. Am 3. und 4. Februar werden die Mitglieder der Akademie zusammenkommen, um über die Nachfolge Adolf Muschgs zu beraten. Weihnachten wird da vorbei sein, und die Wünsche sind entweder erfüllt oder begraben. Bei der Akademie vielleicht sogar eher besser Letzteres.