Banken in Berlin plündern

Die Rache der Peripherie am Zentrum: Das kommt immer gut an beim Festival des osteuropäischen Films in Cottbus. Auch wenn die Suche nach dem großen Gefühl den Blick auf die Politik verdrängt

Die Umstände halten das Individuum im Griff, ein Ausbruch lohnt nicht

VON JÖRG SUNDERMEIER

Cottbus ist eine Stadt wie jede andere. Eine ostdeutsche Stadt. „Wir bedauern, den Standort Cottbus aufgegeben zu haben“, steht plump an den Fenstern einer ehemaligen Allbank-Filiale. Die Bank ist nicht allein. Das Einkaufszentrum ist verwaist, in der Straße der Jugend stehen fast alle Läden leer. Dafür stehen überall Krebse herum, gleich den „Buddy-Bären“ in Berlin. Ihre Funktion scheint hier wie dort zu zeigen, wer die Plastefiguren am schlechtesten bemalen kann. Am 11. 11. wird die Karnevalssaison eröffnet, das Humptata kommt vom Band.

Cottbus ist eine schrumpfende Stadt, doch zugleich ist es Chosebuz, eine Stadt, in der viele Sorben leben. Mitten in der biederen Fußgängerzone mahnt ein offizielles Banner an den 9. 11. 1938. Das gehört wie die Flusskrebse dazu. Diese Stadt ist wie geschaffen für das wunderbare Festival des osteuropäischen Films, das am Sonntag zum 15. Mal zu Ende ging. Sie zwingt zur für Osteuropa typischen Improvisation – da das Multiplex außerhalb der Stadt liegt, bespielt man Kinos, die keine sind: die Kammerbühne, die Stadthalle, das Obenkino. Nun gesellt sich allerdings der Weltspiegel im ältesten Kinogebäude Deutschlands dazu, der zu Festivalbeginn eröffnet wurde. Dieses Kino will ein reguläres Kino werden, erzählte Festivaldirektor Roland Rust; ob es überlebe, sei jedoch ungewiss.

In dem Raum, der trotz Neueröffnung noch angenehm verstaubt wirkte, konnte man die serbische Klamotte „Pljačka Trečeg Rajha“ („Betrug am Dritten Reich“) bestaunen. Im Film erleben zwei Serben im Gefängnis den Einmarsch der Deutschen, die, sehr zum Amüsement des Publikums, allesamt Deutsch mit starkem Akzent sprechen. Die Protagonisten fliehen und beschließen, als antifaschistischen Akt, Banken in Berlin zu plündern, da die Deutschen die jugoslawischen Banken geplündert haben. Nach allerlei Verwicklungen – so erreichen es die beiden, dass die Deutschen eine Menschenmenge zwingen, „Chitler kaput!“ zu rufen – sehnen sie sich nach Serbien zurück. Sie kehren heim, werden von den nun regierenden Kommunisten verhaftet, doch Tito bedarf ihrer alsbald, um einen Tresor, den er „beschlagnahmt“ hat, zu öffnen.

Dieser Film lebt von Übertreibungen und lässt unklar, ob er eine Parodie seines Genres oder dessen Teil ist. Der russische Film „Pjervyje na Lunje“ ist eine fiktive Dokumentation über „Die ersten Menschen auf dem Mond“, denen die Mondlandung schon 1938 gelingen wollte. Der liebevoll gemachte Film, der den Spezialpreis der Jury erhielt, ist eine raffiniert montierte und melancholische Komödie, in der der sowjetische Technikfetischismus elegant an sich selbst gemessen wird. Solche Filme waren die Ausnahme bei diesem Festival, zumeist ging es in den Beiträgen um große Gefühle, eine Sehnsucht nach „Poesie“ machte sich breit.

Politik verkam vor diesem Hintergrund nicht selten zu einer privaten Angelegenheit. „Progulka v Karabach“ (Reise nach Karabach) aus Georgien, etwa benötigte den Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan einzig, um die Entscheidungsfindungskrise des jungen Helden zu zeigen, eines lächerlichen Hamlets. „The Shutka Book of Records“ berichtet semidokumentarisch aus der mazedonischen Roma-Stadt Shutka und bedient alle Klischees – Roma sind geldgierig, streitsüchtig und für die Moderne nicht geschaffen. Genau das, so behauptet der Film mit positivem Rassismus, mache sie liebenswert.

Bei den anderen Preisträgern verhält es sich ähnlich: Der tschechische Film “Štěstí“, auf Deutsch allzu karnevalhaft: „Die fünfte Jahreszeit heißt Glück“, der als einer der wenigen Filme in den deutschen Kinos startet, war Publikumsliebling. Er zeigt in schönen Bildern das schwierige, aber letztendlich idyllische Leben in einer Vorstadt.

Den Hauptpreis gewann „Odgrobadogroba“ („Von Grab zu Grab“) aus Slowenien. Ein Grabredner wird zusehends mit der Möglichkeit des Todes in seiner eigenen Umgebung konfrontiert. Es beginnt grandios, zum Ende hin jedoch verliert sich alles in immer grelleren Effekten und gerät zusehends zum Kitsch. Dennoch hat „Odgrobadogroba“ gewonnen, vielleicht, weil er die Grundtendenz der meisten Filme vertritt – die Umstände halten das Individuum im Griff, ein Ausbruch lohnt nicht. Den zweiten Preis immerhin erhielt der Film „Ryna“ der rumänischen Regisseurin Ruxandra Zenide, der mit herausragenden Bildern den dörflichen, von Schnaps und Armut unterstützen Terror auf dem Land zeigt, dem die Titelheldin nur durch ihr Fortgehen entkommt.

Im Westen käme das alles gut an, auch das Festival konnte in den wenigen fünf Tagen über 16.000 Kinobesuche verzeichnen. Doch finden sich für diese Filme, die durchweg der üblichen Stangenware haushoch überlegen sind, keine Verleihe für den Westen. Sie bleiben, so steht zu fürchten, gerade auch da, wo große Kinokunst geboten wird, als Heimatfilme verschrien. Die Tendenz, das zu durchbrechen, indem man „Heimatfilme“ dreht, die auf ein westliches Publikum schielen, zeichnete sich auf dem Festival bereits ab. Es steht zu fürchten, dass die Strategie Erfolg hat.