Einarmig in die Kurve

Die Regeln des Grüßens: Wie freundliche Motorradfahrer durch den Sommer kommen

Sommerzeit ist Motorradfahrerzeit. Schicke kleine Hundertfünfundzwanziger stehen an der Ampel neben den Boliden mit 1.200 Kubikzentimeter, Vespa-Roller werden von geländegängigen Enduros überholt, japanische Fabrikate, so genannte Joghurt-Becher, warten neben den Harleys auf Grün. Nicht nur hartgesottene Schrauber, sondern auch Anwälte und Gynäkologen, Malermeister und Bäckerlehrlinge besteigen ihre Mopeds, wie sie ihre Bikes mit coolem Understatement nennen.

Moderne Ritter allesamt, Marlboro-Cowboys der Gegenwart. Sie sind anders als andere Verkehrsteilnehmer, sind Easy Rider zwischen Rheinland und Ostwestfalen, erleben Freiheit und Abenteuer auf der B 64. Halten Rast an den Externsteinen, als wäre man im Monument Valley. Und die Fahrt durchs Kalletal von Vlotho über Brakel nach Bad Berleburg, das ist nur vergleichbar mit der Fahrt durchs Death Valley irgendwo zwischen San Francisco und Las Vegas. Nur eins stört die Ruhe der vibrierend Dahingleitenden: der Motorradfahrergruß. Der Gruß von Zweirad zu Zweirad – der ist Pflicht!

Aber die Zahl derer, die Motorrad fahren, ist in den vergangenen Jahren unüberschaubar geworden. Fährt man nur mal so aus Spaß von Rinteln nach Hameln, dann kann man die Linke dauerhaft oben lassen. Manche haben im einarmigen Kurvenfahren schon unerreichte Meisterschaft entwickelt. Die Kernfrage aber lautet: Grüßt man sich auch im dichten innerstädtischen Verkehr oder soll man hier lieber auf das vorausfahrende Fahrzeug achten? Noch entscheidender allerdings ist: Wer grüßt wen? Und wer grüßt wen nicht? Und: Wen grüßt man nicht?

Wenn zum Beispiel ein Fahranfänger auf einem Motorrad einen Rollerfahrer grüßt – das ist schon nicht mehr peinlich, das ist tödlich. Das wird mit sofortigem Entzug des Fahrzeugs bestraft. Einige Fahrer japanischer Boliden grüßen grundsätzlich keine BMW-Fahrer. BMW-Fahrer ihrerseits grüßen keine anderen Fabrikate. Darum hat BMW auch den Boxermotor entwickelt, der ist von vorn zu erkennen. Wer ein Motorrad unter 500 Kubikzentimeter fährt, in der Klasse unter 36 PS, der grüßt jeden, denn er will unbedingt zurückgegrüßt werden, nur so gehört er dazu.

Menschen, die eine MZ, eine Maschine aus den Motorrad-Werken Zschoppau fahren, wollen unbedingt gegrüßt werden, weil sie sonst glauben, man habe was gegen Ossis. Sie selber grüßen meistens nicht, man grüßt schließlich keine Wessis.

Wer Honda Gold Wing fährt, also eine Art fahrendes Ikea-Sofa, der grüßt keinen, wird aber auch nicht gegrüßt. Welcher Biker winkt schon einem fahrenden Sofa mit Rückwärtsgang zu? Wer „Colour“ trägt, eine Kutte, eine Jeansjacke mit Wappen des jeweiligen MCs, des Motorradclubs, so einer grüßt sowieso überhaupt nicht! Und wehe, der wird gegrüßt! Und Harley-Davidson-Fahrer grüßen überhaupt niemanden, nicht einmal Harley-Fahrer.

Kürzlich kam ein Freund bei mir mit seiner Harley zur sonntäglichen Ausfahrt vorbei. „Hör mal, deine Harley verliert verdammt viel Öl.“ Er blickt mich kurz an und knurrte dann: „Eine Harley verliert kein Öl, die markiert nur.“ BERND GIESEKING