Schluss mit dem Abschiebe-Theater

Die 13-jährige Tanja Ristic sollte aus dem Unterricht heraus abgeschoben werden. Ihre MitschülerInnen verhinderten dies. Jetzt bringt das Grips-Theater mit „Hier geblieben!“ ihr Schicksal auf die Bühne. Das Stück ist ein politischer Aufruf für ein Bleiberecht

VON CONSTANZE WEISKE

Sie wirkt wie ein Kind, und spricht wie eine Erwachsene. Erschreckend ernst klingen Tanja Ristics Worte, wenn sie ihre Gefühle und die Erlebnisse der vergangenen sieben Monate beschreibt, wenn die 13-Jährige vom 10. August des vergangenen Jahres erzählt. Davon, wie sie die Polizei aus ihrem Klassenzimmer in der Neuköllner Fritz-Karsen-Oberschule holte. Davon, wie sie weinend und mit zitternden Knien ihre Schultasche einpackte. Und auch davon, wie ihr ihre Klassenkameraden noch schnell persönliche Dinge zustecken konnten. „Sie haben mir gesagt, dass sie mich im Auftrag meiner Eltern holen“, berichtet Tanja. Der tatsächliche Auftraggeber war jedoch nicht ihre Familie, sondern die Ausländerbehörde. Tanja soll nach Bosnien abgeschoben werden.

„Meine Heimat ist Berlin, ich habe keine andere“ – sagt eine andere Tanja, und es ist doch die gleiche. Das Grips-Theater hat ihren Fall als Vorbild für sein Stück „Hier geblieben!“ genommen, das im Mai Premiere hat. Gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) setzt sich das Jugend-Theater damit für das Bleiberecht von geduldeten Flüchtlingen ein. Nach Angaben des Flüchtlingsrats sind allein in Berlin 18.000 Menschen betroffen. Ein Drittel sind Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, wie die Familie Ristic.

Im August 1995 flüchtete Milica Ristic mit ihren beiden Töchtern Sanja und der damals dreijährigen Tanja aus Tuzla nach Berlin. Der Vater Zoran kam später nach. Zehn Jahre bemühten sie sich um ein normales Leben. Zoran Ristic fand Arbeit als Bauarbeiter. Die Töchter gingen zur Schule, die Älteste machte ihr Fachabitur.

Tanja besuchte die achte Klasse der Neuköllner Gesamtschule, als die Ausländerbehörde sie aus dem Klassenzimmer holen ließ. Von der Schule aus wird sie direkt in die Abschiebehaft nach Köpenick gebracht. Die Nacht muss sie in einer Einzelzelle verbringen. Am darauf folgenden Morgen sieht sie ihre Familie das letzte Mal.

„Mein Vater und meine Schwester Sanja wurden in ein Flugzeug gesteckt und nach Bosnien transportiert. Getrennt. Von uns, meiner Mutter und mir“, spricht die Tanja im Grips-Theaterstück bei den Proben ins Publikum. Die Mutter und sie dürfen in Deutschland bleiben, bis der Asylantrag der Minderjährigen bearbeitet ist.

Nur das Engagement von Tanjas Lehrerinnen und ihrer Schulklasse ersparte der 13-Jährigen einen Aufenthalt im Sammellager in Köln. Mit Spontan-Demos und mit Briefen an den SPD-Innensenator Ehrhart Körting brachten sie Tanjas Geschichte an die Öffentlichkeit. „Die ersten Wochen waren schlimm: Keiner wusste, was mit ihr passieren wird“, berichtet Tanjas Klassenlehrerin Inge Wannagat.

Eigentlich hat sich daran nicht viel geändert: Was mit Tanja und ihrer Familie geschehen wird, ist ungewiss. Klar ist nur, dass Tanja und ihre Mutter bis zum 27. Mai in Berlin bleiben dürfen. Dann endet ihre Aufenthaltsgenehmigung. „Bis Ende Mai. Das ist doch was. Da können wir doch wieder neu anfangen. Besser. Für Iwan auch“ – die Tanja im Theaterstück ist optimistisch, auch für ihren ebenfalls von Abschiebung bedrohten Mitschüler Iwan.

Der echten Tanja ergeht es ebenso: Sie hofft. Für alles andere fehlt ihr die Kraft. In der Schule kann sie sich nicht mehr konzentrieren: „Zu Hause bin ich still und weine oft, wenn ich das leere Bett meiner Schwester sehe.“ Halt findet das bosnische Mädchen vor allem bei ihren Klassenkameraden. Sie waren es auch, die Tanjas Geschichte für das Stück vorschlugen, sagt Regisseur Christopher Maas. Neun Schüler der Klasse 8.3 beteiligen sich intensiv an den Theater-Recherchen der drei Jungautoren von der Berliner Universität der Künste (UdK), die das Stück im Auftrag des Grips-Theaters schrieben.

Doch Tanjas Hoffnung könnte sich als trügerisch erweisen: Ihre Chancen, in Berlin zu bleiben, sind schlecht. „Wir müssen davon ausgehen, dass der Asylantrag abgelehnt wird“, sagt der Anwalt der Familie Ristic, Florian Lühnsdorf. Umso größer seien daher die Hoffnungen in das Theaterstück. Dadurch könne vor allem auf der höheren politischen Ebene Druck erzeugt werden, so der Ristic-Anwalt. Denn die gegenwärtige Politik biete de facto keine Aussicht darauf, dass sich diese Menschen hier eine gesicherte Existenz aufbauen können. Tanja sei da kein Einzelfall.

Politischen Druck erzeugen soll das Stück vor allem mit dessen Aufführung vor der Stuttgarter Innenministerkonferenz im Juni. Dort soll damit das Bleiberecht, oder Aufenthaltsrecht, für die von der Abschiebung bedrohten Kinder und Jugendlichen eingefordert werden.