Blickfang mit Erziehungsauftrag

Musik aus dem Körper und Musik aus der Stadt: Der indonesische Performancekünstler Venzha sampelt Frequenzen mit Monstergitarren und wirkt dabei wie ein Alien. Heute eröffnet er die fünfte Transmediale für Medienkunst in Berlin. Ein Porträt

VON SUSANNE MESSMER

Es dauert nicht lang, bis man draußen ist. Die indonesische Stadt Yogyakarta auf Java ist nicht groß, sie hat kaum eine Million Einwohner. Dennoch gilt sie als eines der spannendsten Kunstzentren Indonesiens – es gibt unzählige Künstler, Kollektive, Galerien. Einer der Künstler lebt in einem Vorort, und es wirkt fast surreal, wie man hier vor einem weißen Reihenhaus empfangen werden.

Viel erzählt wird hier von Venzha, von Vincensius Christiawan, einem der radikalsten Performancekünstler der Stadt – ausgerechnet in einer vernünftigen Gegend wie dieser hätte man einen wie ihn, einen Rastaträger mit Ziegenbart, am allerwenigsten erwartet. Freundlich winkt er uns herein, wir bewundern ein riesiges Instrument im winzigen Arbeitszimmer. Es erinnert entfernt an eine Gitarre, aber auch an die Kulissenausstattung von Filmen wie „Blade Runner“. Unmöglich, die Funktionsweisen dieser komplizierten Apparatur zu begreifen – Venzha versucht zu erklären, bricht in Gelächter aus und schaltet den Computer ein.

Angefangen habe alles mit seiner Liebe zu Punk, erzählt Venzha, während er den Computer hochfährt, damit, dass er in einer Band spielte, als DJ auflegte und das alles irgendwann zu langweilig fand. Immer klarer wurde ihm, wie wenig er damit sein Umfeld erreichte. „In Indonesien kennt man die Musik seines Landes höchstens aus dem Schulbuch“, erzählt er. „Und Michael Jackson oder Eminem werden gehört, weil es Mode ist – nicht, weil man etwas über die Inhalte dieser Musik wüsste. Ich wollte etwas machen, das die Leute zum Nachdenken bringt“, sagt er und berichtet, wie er deshalb begann, Kunst zu studieren.

Inzwischen ist der Computer so weit, das erste Video von Venzha startet. Es zeigt ihn in einem Krankenhausbett, er hat seinen Körper an Messgeräte, seine Musikinstrumente an die Geräte angeschlossen – die ohnehin abstrahierten Geräusche seines Körpers werden gesampelt, geloopt, verzerrt. Noch immer funkeln Venzhas Augen, wenn er von dieser Guerillaaktion erzählt, bei der er auf den guten Willen eines Arztes angewiesen war. Begeistert berichtet er davon, wie er sich für diese Performance das Zubehör, die „Lo-Tech“, wie er sagt, auf den typisch indonesischen Schwarzmärkten für gestohlene Elektronik zusammenkaufen musste.

Ein anderes Video zeigt Venzha bei einer Performance, auf dem Anhänger eines Autos, das ihn langsam durch die Straßen Yogyakartas zeiht. Er hat sich seine Monstergitarre umgeschnallt, überall Kabel und Drähte, die ein seltsames Rascheln, eine fragile, zart rhythmisierte Musik erzeugen – und Venzha sieht aus wie ein Alien in dieser altehrwürdigen Stadt, in der es noch einen Sultanspalast gibt, wo Touristen zu traditionellem Tanztheater und Schattenspiel geladen werden. In einem Land, wo auf über 18.000 Inseln mehr als 200 Sprachen gesprochen und alle Religionen der Welt praktiziert werden, hat es Sinn, Robotik als utopisches Bild für die Expansion des Körpers zu benutzen – als Metapher für den Bruch mit Biologie und Tradition und für die Sehnsucht, sich Identitäten selbst zusammenzusetzen.

„Ich sehe aus wie von weit her, meine Maschinen fangen aber einfach nur die Frequenzen meines Umfelds ein und bearbeiten sie“, erklärt er. Und: „Ich funktioniere wie ein Blickfang, der die Leute zwingt hinzusehen und sie dann einfach nur damit konfrontiert, was sie selbst produzieren.“ Allmählich fügt sich, dass Venzha nicht nur als exotischer Klangkünstler weltweit von Festival zu Festival gereicht wird, sondern dass er sich auch als Erzieher begreift. Venzha erinnert manchmal an die metallene Industrieästhetik, wie sie in Europa besonders in den Achtzigerjahren kultiviert wurde, er ist aber in seiner Heimat auch als Lektor unterwegs, setzt sich, obwohl er gerade mal dreißig Jahre alt ist, schon für die nachfolgende Generation ein. Zum Beispiel ermuntert er seine zwanzigjährigen Studenten, Rave-Partys in alten hinduistischen Tempeln zu organisieren und dies als Kunst im öffentlichen Raum zu betrachten.

Ein paar Monate später im kalten Berlin: Venzha hat für die Eröffnung der Transmediale eine Performance entwickelt, heute ist er angekommen, hat zwanzig Stunden Flug hinter sich und einen langen Kampf um seine vielen riesigen Koffer, er ist erschöpft. Wir unterhalten uns über das Seebeben und über die katastrophalen Folgen für Aceh, für die Region seines Landes, die es sowieso schon am schwersten hat. Und wir kommen auf die Transmediale zu sprechen, auf den Südostasien-Schwerpunkt in diesem Jahr – und auf eine Konferenz zum Thema Kunst und soziale Verantwortung, bei der er auf dem Podium sitzen wird. Und wieder denkt man: Erstaunlich, wie sich die Codes verschieben können. Was hier als Jugend- oder abseitige Spaßkultur gelten würde, funktioniert in Indonesien als harsche Gesellschaftskritik, als engagierte Kunst.