Die Achse des Techno – von Alexis Waltz
: Das Partygewissen New Yorks

Abe Duques vierte LP „So Underground It Hurts“ ist ziemlich weit von dem entfernt, was gerade die elektronische Tanzmusik bestimmt. Und doch ist das Album ein „Best of Dance Music“ – ohne dass es im Ganzen auf etwas Hitmäßiges, auf eine besondere Kompatibilität angelegt wäre. Duque hat die Selbstgewissheit eines DJ Rushs und die Spontaneität und den Aktionismus von HipHop. Er ist eine Rampensau mit dem Gefühl fürs Wesentliche: der Beat und ein weiteres Element, das die Aufmerksamkeit steuert. Alles weitere lenkt bloß ab. Abe Duque aus Queens ist seit Anfang der Neunziger als DJ und Produzent aktiv, veröffentlichte als Kirlian drei Alben und erregte nie sehr viel Aufsehen. Einen neuen Schub erfuhr seine Karriere durch die Produktion von DJ Hells Album und durch die beiden Hits „Last Night Changed It All“ und „What Happened?“, die auch auf der CD enthalten sind.

„So Underground It Hurts“ zelebriert den widerständigen Drive, die unversöhnliche Energie von House-Music. Gegen diese Tracks klingen viele zeitgenössische Produktionen gerade in ihrem Qualitätsbewusstsein kultiviert, conaisseurhaft und letztlich zahm. Abe Duque hat noch das Bewusstsein, dass ein Einzelner mit dem entsprechenden Ego und dem richtigen Beat die Welt bzw. den Club erobern kann. Dass dazu kein Superstudio notwendig ist, macht diese Musik so sympathisch. „So Underground It Hurts“ ist Rebellion gegen den technokratischen Sündenfall der elektronischen Tanzmusik.

Abe Duque: So Underground It Hurts (Abe Duque Rec./Gigolo /Neuton)

Geilheit und Liebe

Die Remixe des Berliner Duos Tiefschwarz sind die geilste Discomusik, die gegenwärtig vorstellbar ist. Wie niemandem gelingt es ihnen, den zugleich fettesten und deepsten Sound zu produzieren. Nie haben die Stücke Novelty-, Thesen- oder Gag-Charakter. Sie denken sich nicht nur ganz tief in das Mark von House hinein – sondern auch wieder heraus. Ohne so rotzig-kaputt zu wirken wie die unterkühlten Stücke in der Electroclash-Folge hat dieser Sound nichts von dem Formalismus, den die meisten US-Produzenten mittlerweile pflegen. Bei Tiefschwarz kommt die Liebe zur Musik und die Geilheit auf Party in einem Sound zusammen.

Tiefschwarz erfinden einen Pop, der nicht aus der Plattensammlung hervorgekramt, sondern aus dem Dancefloor herausgekocht ist. Die Doppel-CD „Misch Masch“ enthält eine Auswahl ihrer Remixe, etwa die epische Überarbeitung von Phoniques „The Red Dress“ oder die Pathos-satte Version von Unit 4 „Body Dub“. Zum anderen gibt es ein Set der DJs: Techno-Clash, der von verlangsamten, ruhig kickenden Beats ausgeht, deren heimlicher Blueprint ein NuGroove-Mix aus den späten Achtzigerjahren ist. Anstatt der Crowd in den Arsch zu treten, wirkt es, als würde ein rhythmisches Fingerschnippen ausreichen, um den Dancefloor zu elektrisieren. So wird die Kluft zwischen Techno-Gegenwart und Retro-Posen aufgelöst. Hier gibt es tatsächlich nur noch Musik und ihre physiosozialen Effekte – und das ist heute selten.

Tiefschwarz: Misch Masch (Fine/Four Music)

Die Ekstase der freien Gedanken

„Ich lebe ein lautes Leben“, sagt Sven Väth. Auf dem fünften Teil seiner jährlichen Compilation-Serie erweitert er den psychedelisch-ekstatischen Raum: Zum ersten Mal beginnt und endet der Mix mit einem Song und es erklingt wesentlich weniger reiner Techno als zuvor. Für die Elemente der Tracks, die die Intensitäten produzieren, ist das Kriterium Techno oder Jenseits-von-Techno aber gar nicht entscheidend. Wie jedes Jahr spielt Väth die Hits; hier hört man sie noch einmal anders, nimmt ihre herausragenden Momente extremer wahr. Auf manche Stücke wirft das Set ein völlig neues Licht, etwa spürt Väth die psychoaktive Deepness auch in sehr aggressiven Tracks auf, etwa in Black Strobes Dub von „Chemical Sweet Girl“. Väths Aufmerksamkeit ist unmittelbarer als die anderer großer DJs auf den Kontakt zur Crowd gerichtet. Eigentlich entsteht für jede/n das Gefühl eines persönlichen Blickkontakts, und die Cocoon-Partys im Amnesia auf Ibiza sind ein Gesamtereignis. Deshalb zeigt eine zusätzliche DVD ein ausführliches Interview mit Väth und stellt Beteiligte vor. Die halbstündige Aufnahme eines Sets ist ganz auf die Kommunikation Väths mit den TänzerInnen gerichtet; darauf, wie die Musik zelebriert wird. Väth erstrahlt als Star, als Vortänzer, als Performer, als Dionysos, als Kind: In einem magischen Moment bricht sich das blaue Scheinwerferlicht weiß im Schweiß seiner Stirn. Wie beschreibt er seine Arbeit? Es sei „die Ekstase der freien Gedanken“.

Sven Väth in the Mix: The Sound of the Fifth Season“ (Cocoon/Intergroove)