Verdrossenes Volk

Mit kühlem Herzen: Das Verfassungsgericht verhandelte gestern die Klage der Volksinitiative „Gesundheit ist keine Ware“ gegen den LBK-Verkauf

Von Markus Jox

Vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht standen sich gestern drei „Organe“ gegenüber: auf der einen Seite Bürgerschaft und Senat, auf der anderen Seite „das Volk“. Die neun Richter beschäftigten sich in der mündlichen Verhandlung mit der Klage der Volksinitiative „Gesundheit ist keine Ware“ gegen den Plan des Senats, den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) mehrheitlich zu verkaufen. 76,8 Prozent der Hamburger WählerInnen hatten dieses Ansinnen bei einem Volksentscheid am 29. Februar abgelehnt. Eine Entscheidung will das Gericht vor dem 15. Dezember treffen – für diesen Tag ist die erste Lesung der Gesetzesvorlage in der Bürgerschaft geplant.

Zu Beginn der lustvoll mit dem juristischen Florett geführten Debatte räumte Gerichtspräsident Wilhelm Rapp freimütig ein, dass das Verfassungsgericht mit der LBK-Klage juristisches „Neuland“ betrete. „Wir bewegen uns tastend auf diesem Gebiet“, sagte Rapp und machte klar, dass es dem Gericht um Verfahrensfragen der Volksgesetzgebung gehe, nicht um eine inhaltliche Bewertung des LBK-Deals. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass das Volk mehrheitlich ausdrücken wollte, dass ihm das so nicht gefällt“, formulierte der Präsident.

Allerdings werfe die direkte Demokratie, „die viele Politiker mit heißem Herzen gewollt“ hätten, komplizierte, mit dem Grundgesetz und der Landesverfassung zusammenhängende Rechtsfragen auf. Ein Plebiszit sei nicht mehr so durchzuführen „wie im alten Athen“, wo die Menschen Tonscherben in einen Topf geworfen hätten. „Nach dem Motto ‚Wir befragen jetzt mal das Volk, und das ist‘s dann‘, läuft es nicht.“ Dass es in der Bevölkerung „zu Verdrossenheit“ führe, „wenn man solche Instrumentarien anbietet und die Sache dann im Sande verläuft, sehen wir wohl“, sagte Rapp. Das Gericht werde für seine Entscheidung „Prügel beziehen – wie auch immer sie ausgeht“.

„Ganz Hamburg“ habe das Signal des Volksentscheides verstanden, sagte der Klägeranwalt und ehemalige Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling: „Dass nämlich der LBK nicht privatisiert werden soll.“ Jetzt hingegen sage der Senat: „Das war ja ganz nett, was ihr entschieden habt, aber für uns hat das keine Bedeutung.“ So ein Vorgehen gehöre sich nicht, mahnte der Jurist: „Es verstößt gegen den bürgerlichen Anstand.“

Deshalb sei es am Gericht, Regeln zur Verbindlichkeit von Volksentscheiden zu entwickeln. Das könne etwa „eine Schamfrist“ von zwei Jahren oder bis zum Ende einer Legislaturperiode sein, in der das Parlament das Ergebnis eines Volksentscheids nicht kippen dürfe.

Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, „einen neuen Satz in die Verfassung hineinzuschreiben“, konterte der Rechtsvertreter der Bürgerschaft, Albert von Mutius. Überdies sei der Sinn eines Volksentscheids bereits erfüllt, wenn er „einen Anstoß“ gebe: Das Parlament werde gezwungen „zu reflektieren, sich eine Meinung zu bilden – und dann eine Mehrheitsentscheidung zu treffen“. Die „Angelegenheit“, so von Mutius kühl, sei „in drei Plenardebatten und im Gesundheitsausschuss“ diskutiert worden. Das müsse ja wohl reichen.