Der Clou des Nibelungen

Hauptsache, es geht schief: Der Dramatiker Tankred Dorst inszeniert 2006 den Ring des Nibelungen in Bayreuth

Der alte Fuchs hat es wieder geschafft. Nach der Absage von Lars von Trier sahen viele schon die Götterdämmerung von Wolfgang Wagners Herrschaft über den Grünen Hügel heraufziehen. Triers Ablehnung, so ihre Argumentation, sei doch der Beweis, dass eine vernünftige Zusammenarbeit mit dem Wagner-Enkel, der dieses Jahr mit Christoph Schlingensief als „Parsifal“-Regisseur noch mal einen raffinierten Clou gelandet hatte, nicht mehr möglich ist.

Doch mit der Berufung Tankred Dorsts als Regisseur für den „Ring des Nibelungen“ im Jahr 2006 hat Wagner für eine charmante Überraschung gesorgt. Der Dramatiker Dorst hat zwar noch nie eine Oper inszeniert, und auch als Schauspielregisseur besitzt er lediglich Erfahrung in der Inszenierung eigener Stücke. Dass sein Ouevre sich aber nicht für Wagners gewaltiges Welttheater eigne, lässt sich weiß Gott nicht behaupten.

Sein Stück „Merlin oder Das wüste Land“ von 1981, das wohl für Wagners Entscheidung ausschlaggebend war, ist ein Bühnenspektakel mittelalterlicher Sagenwelt, wie es wagnerianischer kaum sein könnte: Mit einem gewaltigen Bildreichtum beschreibt es den Untergang einer neuen Ordnung. Es ist „das Scheitern der Utopien“, so Dorst, das ihn so an der mythologischen Sagenwelt interessiert. Wie aus der idealistischen Gralssuche eine heillose Verstrickung in Schuld wird, zeigte er in seinem „Parzival“ von 1987.

Ein weiterer Grund, der Dorst zu einem interessanten Kandidaten macht, ist die Bühnennähe seiner Stücke. Nachdem er in Bamberg und München Germanistik und Theaterwissenschaften studiert hatte, gab er 1957 als Anfangdreißigjähriger sein Theaterdebüt mit dem Marionettenspiel „Geheimnis der Marionette“. Dieses prägte fürderhin auch seine Reflexionslust über die Eigengesetzlichkeit des Theaters. Nicht zuletzt realisiert Dorst seine Bühnenarbeiten zumeist auch in Zusammenarbeit mit Theaterregisseuren wie Robert Wilson oder Peter Zadek.

Was Wolfgang Wagners eigenen Inszenierungen der letzten Jahrzehnte immer wieder vorgeworfen wurde, mit verstaubtem Ausstattungstheater sämtliche Entwicklungen modernen Regietheaters verschlafen zu haben, muss man von Dorst nicht befürchten: Seine Bühnenwelten sind immer Menetekel unserer Zeit. Richard Wagners Pathos liegt Dorst fern – bei ihm drückt sich das Tragische stets grotesk gegenwärtig aus. Auch in seinen historischen Stücken wie „Toller“ von 1968 geht es Dorst nicht um die Umsetzung von Zeitkolorit, sondern um die Frage, wie Utopien im schönsten Spektakel an der Realität scheitern und trotzdem Hoffnung bleibt.

Welcher Ort könnte geeigneter dafür sein als das Pulverfass Bayreuth, in dem sich die Geschichte deutscher Mythen immer wieder so schön als Farce wiederholt? Da verbindet Dorst schließlich ein Anliegen mit seinem Vorgänger Schlingensief, der ja Scheitern auch immer als Chance begreift. Hauptsache, es geht schief. CHRISTIAN BERNDT