Kanzlers „Mätzchen“ machen Union ratlos

Bis zum Wochenende war Kanzler Schröder gegen ein EU-Referendum. Dann kam die plötzliche Kehrtwende. Seither ist die Union gespalten, wie sie auf diese „populistische Attacke“ reagieren soll. Die Liberalen hingegen unterstützen den Kanzler

VON LUKAS WALLRAFF
UND ULRIKE WINKELMANN

Die Union gibt sich gelassen. Als „same procedure as every year“ bezeichnet Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach gestern den neuen Vorstoß der SPD-Führung, doch noch eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung zu ermöglichen. Sein CDU-Parteifreund Wolfgang Schäuble spricht von „Mätzchen“. Beide unterstellen der SPD, es gehe ihr um reine Taktik. Die Regierung wisse genau, dass sie für die nötige Grundgesetzänderung keine Zweidrittelmehrheit im Bundestag bekomme. Nur um die Union zu spalten und die standhaften Gegner in Erklärungsnot zu bringen, schlage die Regierung jetzt ein Referendum vor. „Wer dagegen argumentiert, hat es immer schwer“, sagt Bosbach.

Er bleibe jedoch bei seiner Meinung, dass sich „die parlamentarische Demokratie bewährt“ habe, so Bosbach zur taz. „Auch diese Entscheidung sollte bei Bundestag und Bundesrat verbleiben.“ Nur dumm, dass CSU-Generalsekretär Markus Söder auf den neuen SPD-Vorstoß ausgesprochen aufgeschlossen reagierte. Er könne sich sogar eine Volksabstimmung über Hartz IV vorstellen, posaunte Söder zunächst herum, um es dann doch bei Zustimmung für ein EU-Referendum zu belassen. Schwierig genug für die CDU.

Bereits vor einigen Monaten wurde diskutiert, ob es – wie in zehn anderen EU-Mitgliedstaaten – auch in Deutschland ein Referendum geben soll. Und schon damals hatte sich die Union uneindeutig verhalten. CSU-Chef Edmund Stoiber sprach sich für eine Volksabstimmung aus, CDU-Chefin Angela Merkel dagegen. Auch jetzt herrscht nur Einmütigkeit in der Kritik an der „populistischen Kehrtwende“ der Regierung.

Völlig abwegig ist dieser Vorwurf nicht. Insbesondere Kanzler Schröder, Außenminister Fischer und SPD-Parteichef Müntefering hätten sich tatsächlich „bisher mit großer Aggressivität gegen ein Referendum ausgesprochen“, erklärte SPD-Europaexperte Michel Roth gestern. Er „wundere“ sich über den plötzlichen Meinungsumschwung, der „par ordre de mufti nun auf die Partei niedergeht“, so Roth zur taz – „aber über das Ergebnis freue ich mich“.

Europafans wie Roth hoffen, dass schon eine Debatte über ein Referendum die Funktion des Referendums erfüllen könnte: Aufklärung über und damit mehr Interesse für Europa.

Der Kanzler hatte dem SPD-Vorstand am Sonntag vorgeschlagen, die neuerdings gewünschte Referendums-Möglichkeit in einen etwas älteren Gesetzentwurf zu integrieren, der generell Volksentscheide ermöglichen wollte: Eine erste Fassung dieses Gesetzes scheiterte 2002 am Widerstand der Union.

Bislang hatten Schröder und Fischer immer darauf gepocht, dass eine frühe und reibungslose Zustimmung zur EU-Verfassung europapolitisch unabdingbar sei. Deshalb solle sie Bundestag und Bundesrat überlassen bleiben. Auf keinen Fall, hieß es bis zum Wochenende, dürfe die Ratifizierung dadurch gefährdet werden, dass im Rahmen eines zusätzlichen Referendums die Bevölkerung bloß innenpolitischen Frust ablasse. So argumentiert der CDU-Europapolitiker im Bundestag, Peter Hintze, auch jetzt noch.

Unsinnige Befürchtungen, meint dagegen die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber der taz: „Es würden doch alle Parteien für die EU-Verfassung werben.“ Die Liberalen, meint die Bürgerrechtlerin der Partei, seien vermutlich sogar für eine Paketlösung von Volksentscheid und EU-Referendum zu haben, wie Schröder sie vorgeschlagen habe.

Lange lässt sich jedoch nicht mehr darüber debattieren, wie sinnvoll ein EU-Referendum sein könnte: Die Europapolitiker sind sich einig, dass die Bundesrepublik die EU-Verfassung bis Sommer 2005 ratifizieren müsse. Sonst sei Deutschlands guter Ruf und das wichtige Signal aus der Mitte Europas gefährdet.