Bescheidenes Träubchen

Als letztes der fünf östlichen Bundesländer wird Mecklenburg jetzt zum offiziellen Weinbaugebiet. Reben in nördlichen Extremlagen sind derzeit groß in Mode – mit eher zweifelhaften Resultaten

VON RALPH BOLLMANN

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit. Sachsen und Sachsen-Anhalt haben ihre Rebhänge seit der Wende wieder kräftig aufgestockt, auch Thüringen hat längst seinen eigenen Weinberg, und seit einigen Jahren wartet selbst Brandenburg mit drei klassifizierten Lagen auf. Jetzt endlich hat es auch Mecklenburg-Vorpommern geschafft, sich als letztes der fünf neuen Bundesländer als offizielle Weinbauregion zu etablieren.

Die Region um die einstige DDR-Bezirkshauptstadt Neubrandenburg, gut hundert Kilometer nördlich von Berlin gelegen, kann fortan nicht nur mit Badeseen, Kiefernwäldern und Backsteingotik aufwarten, sondern auch mit veritablem „Mecklenburger Landwein“. So steht es in der „Elften Verordnung zur Änderung der Weinverordnung“, die der Bundesrat am vorigen Freitag in Berlin beschloss. Das Anbaugebiet „Stargarder Land“ umfasst demnach ganze zwei Anbauflächen – einen Weinberg von 3,5 Hektar Größe bei dem Dorf Rattey und ein Gärtlein von gerade 0,2 Hektar in der Kleinstadt Burg Stargard. Zum Vergleich: Deutschlands größtes Anbaugebiet Rheinhessen bringt es auf 26.000 Hektar.

Mehr als 400 Mitglieder haben sich bereits im „Verein der Privatwinzer zu Rattey e.V.“ zusammengeschlossen. Durften sie ihren Wein bislang nur zu Hause konsumieren, können sie den Jahrgang 2004 nun erstmals auch verkaufen. Im Frühjar 2005 sollen die ersten Flaschen in den Handel kommen. Sieben verschiedene Rebsorten stehen zur Auswahl. Es handelt sich überwiegend um Neuzüchtungen, die an Boden und Klima eher bescheidene Ansprüche stellen.

Während die Mecklenburger nur einen Landwein herstellen, dürfen die drei Brandenburger Produzenten ihre kaum gehaltvolleren Gewächse sogar als Qualitätswein verkaufen. Möglich wurde das durch einen Trick. So machten die Bürokraten einen sandigen Rebhang in Werder an der Havel, direkt vor den Toren Berlins gelegen, kurzerhand zum Teil des Anbaugebiets Saale-Unstrut. Rund 200 Kilometer legen die Trauben auf der Autobahn zurück, bevor sie im Naumburger Landesweingut verarbeitet werden.

Den Rebhängen in der Bundeshauptstadt selbst blieb die weinrechtliche Anerkennung hingegen versagt. Zwar ist der Wein, den die Verwaltung des Berliner Bezirks Kreuzberg an den Abhängen des gleichnamigen Hügels erzeugt, bemerkenswert wohlschmeckend. Doch gerade die auffallende Ähnlichkeit mit hochwertigem Rheingau-Riesling lässt vermuten, dass der verarbeitenden Kellerei in der Partnerstadt Wiesbaden auch die eine oder andere eigene Traube in den Kreuzberger Wein gerät. Verboten ist das nicht, solange die Berliner Bouteillen nicht offiziell verkauft werden.

Professionelle Beobachter der Szene verfolgen das Treiben der Winzer in den nördlichen Extremlagen mit gehöriger Skepsis. Nicht ohne Grund haben die Brandenburger oder Mecklenburger ihre Weinberge, die Zisterziensermönche im Mittelalter angelegt hatten, im 19. Jahrhundert nahezu vollständig aufgegeben: Der Wein aus dem sonnigen Südwesten Deutschlands, den die neu gebaute Eisenbahn heranschaffte, erwies sich als ungleich besser. Und billiger.

Das gilt bis heute, und selbst der Klimawandel wird daran so schnell nichts ändern. Aber die Weinrebe, die einst die Römer nach Deutschland brachten, gilt noch immer als Inbegriff der Zivilisation. Auch soll ein zünftiger Ausschank im lauschigen Weinberg manchen Touristen ins entlegene Mecklenburg locken. So gesehen mögen jene 67.500 Euro, die das Land Mecklenburg-Vorpommern an zusätzlichen Verwaltungskosten für den Weinbau veranschlagt, gut angelegt sein.