Vorklassische Bildung fällt flach

Die Vorklassen werden laut Schulgesetz ab 2005 nicht mehr angeboten. Werden Migrantenkinder jetzt schlechter Deutsch lernen? Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und die GEW schauen nach vorn

VON ANNA LEHMANN

Fast die Hälfte der jetzigen Erstklässler hat eine kostenlose Vorklasse besucht, ebenfalls knapp die Hälfte von ihnen bereitete sich in der Kita auf ihre Schullaufbahn vor. Ihre zwei Jahre jüngeren Geschwister werden im nächsten Jahr ohne „Vor-“ direkt in die erste Klasse eingeschult. So steht es im neuen Schulgesetz, das seit 1. Februar in Kraft ist.

Da das Einschulungsalter ein halbes Jahr auf fünfeinhalb Jahre herabgesetzt wurde, hätte das Vorschuljahr nur noch sechs Monate gedauert. Diese Monate sollen ab 2005 für Sprachintensivkurse – zum Beispiel in Kitas – genutzt werden, um Kindern, die zu wenig Deutsch sprechen und daher dem Unterricht der ersten Klasse nicht folgen können, das sprachliche Rüstzeug mitzugeben.

Wie viele das sein werden, ist nach Angabe von Anne Rühle, Sprecherin von Schulsenator Klaus Böger (SPD), völlig unklar: „Plätze und Personal planen wir erst, wenn wir die Ergebnisse der Sprachstandserhebungen kennen.“ Diese Tests durchläuft jeder Abc-Schütze, der 2005 eingeschult wird. Sie sollen erstmalig zu Beginn des nächsten Jahres stattfinden. Laut Rühle solle es sich hierbei um eine Weiterentwicklung der im letzten Jahr durchgeführten „Bärenstark-Tests“ handeln.

„Bärenstark“ zufolge bräuchten 80 Prozent der Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache und über ein Viertel der deutschsprachigen Spielkameraden einen Deutschkurs. Ob die Kinder Kita oder Vorklasse besucht haben, hat auf ihre Sprachkompetenz nur wenig Einfluss.

Angesichts solcher Zahlen plagen den Amtsleiter für Tagesbetreuung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Klaus-Harald Straub, keine Bedenken, wenn die Vorklassen künftig wegfallen. „Was war, muss nicht automatisch gut gewesen sein.“ Viel wichtiger erscheint ihm, dass es ab 2005 keine Rückstellungen mehr geben wird, weil die Kinder nicht schultauglich seien. Man werde natürlich versuchen, im Vorfeld verstärkt für Kindergärten zu werben.

In Friedrichshain-Kreuzberg besuchen knapp über die Hälfte der Kinder eine Kita. Hüben wie drüben der Warschauer Brücke ist der Anteil an Kita-Kindern etwa gleich. Doch betreuen die öffentlichen Kitas in Friedrichshain 80 Prozent deutsche Muttersprachler, während die Kreuzberger Kita-Kinder zu drei Vierteln nicht deutschsprachiger Herkunft sind. Die Kitas sollen künftig die vorschulische Ausbildung übernehmen, Schulsenator Böger machte sie zumindest verbal zu „Bildungseinrichtungen“.

Mit dem Wegfall der Vorklassen würde ein Drittel der Migrantenkinder gar keine Schulvorbereitung mehr erhalten, fürchtet der Tagesspiegel und rechnet Zahlen des Bezirks Neukölln für Berlin hoch.

Böger-Sprecherin Rühle bezeichnet die Hochrechnungen als „völlig fiktiv“. GEW-Mitarbeiterin Sanem Kleff bezweifelt, dass die nachgeschobene Debatte um die Vorklassen berechtigt sei. „Nur ein Bruchteil der Vorklassenleiterin ist jemals fortgebildet worden, um Sprachmängel zu beheben.“ Entscheidend sei es, das Personal entsprechend zu schulen, ob nun in Kita, Grundschule oder Vorklasse.