Fingerzeig in den Himmel

Mammon und Pietät: In New York wurden die Entwürfe für das World-Trade-Center-Gelände enthüllt. In ihrer Synthese aus kommerziellen und höheren Zwecken erinnern sie an die babylonische Antike

VON SEBASTIAN MOLL

Wer im Jahr 2008 über das Gelände des ehemaligen World Trade Centers am Südzipfel von Manhattan wandelt, der soll sich so fühlen wie einst die Bürger Babylons im Tempelbezirk der vorantiken Metropole auf dem Gebiet des jetzigen Irak. Der Entwurf der Architekten Daniel Libeskind und David Childs, der am Freitag enthüllt wurde, zitiert den Turmbau zu Babel recht wörtlich: die spiralförmig angeordneten fünf Wolkenkratzer von zunehmender Höhe, gipfelnd im „Freedom Tower“ – dem mit 581 Metern dann vermutlich höchsten Haus der Welt – rekonstruieren in vergrößertem Maßstab den Tempel des Marduk.

Die babylonischen Kultstätten waren einst Orte sowohl spiritueller Labung als auch weltlichen Reichtums. Ebendiese beiden Pole zu vereinen war die schwierige Aufgabe, der sich die Architekten bei der Planung des Geländes stellten. Angemessenes Gedenken an die Opfer des 11. September auf der einen Seite, Befriedigung der finanziellen Interessen des Bauherrn Larry Silverstein auf der anderen.

Die Synthese von Mammon und Pietät, darüber war man sich am Freitag im Wintergarten des World Financial Centers einig, ist gelungen. Selbst einer der einst schärfsten Kritiker Daniel Libeskinds, Robert Muschamp von der New York Times, schwärmte, der „Freedom Tower“ sei viel näher daran, ein echtes Stück Architektur zu sein, als man das hätte erwarten dürfen, und er könne zu einem der nobelsten Wolkenkratzer New Yorks werden.

Siebzig Stockwerke wird das Gebäude bloß hoch sein. Daraus ragt eine riesige Antenne, die es zum höchsten Bauwerk der Erde macht. Von der Seeseite her, dem traditionellen Weg, den von Hoffnung beseelte Einwanderer früher nahmen, tritt das schlanke Gebäude in einen Dialog mit der Freiheitsstatue und ergänzt deren Symbolik. Die sichelförmigen, um den Tower herum angeordneten Hochhäuser, allesamt mit abgeschrägten Dächern, bilden einen gelungenen Kompromiss zwischen öffentlich nutzbarer Freifläche und profitablem Büroraum.

Bis zur Enthüllung waren die Kritiker skeptisch, ob den Architekten ein solcher Spagat gelingen werde. Zumal bei der Planung des Trade-Center-Geländes zwei stark unterschiedliche Persönlichkeiten zur Zusammenarbeit gezwungen wurden.

Libeskind hatte zwar den Wettbewerb der Bürger-Vereinigung Lower Manhattan Development Corporation gewonnen. Bauherr Silverstein fand jedoch, dass Libeskinds Entwurf seinen Interessen nicht diene. Deshalb bestand er auf der Mitwirkung eines von ihm beauftragten Planers, David Childs von der Architektur-Großfirma Owens, Skidmore & Merrill.

Der intellektuelle Libeskind und der kommerzielle Childs zwangen sich an einen Tisch. Dass das Ergebnis die symbolische Vereinigung von Kommerz und Spiritualität darstellt, erinnert somit auch an den schmerzhaften Entstehungsprozess. Die Kombination des Willens zur Profitmaximierung mit dem Geist höherer Werte in Stahl und Glas bleibt indes vor allem ein provokanter Ausdruck der amerikanischen Ideologie. Ähnlich den Gebäuden, die vorher an dieser Stelle standen.