Der bildende Holländer

Schau genau: „Die Realität der Bilder – Zeitgenössische Kunst aus den Niederlanden“ in der Kieler Stadtgalerie nimmt vielfältig Bezug auf die Tradition von Vermeer bis Mondrian

Wie bei alten Allegorien entschlüsselt selbst genaueste Beobachtung eines Geschehens oft nicht dessen Bedeutung

aus Kiel HAJO SCHIFF

Am Info-Point im Bahnhof kennt man die Stadtgalerie nicht, verschenkt aber freundlich einen Stadtplan. Seltsam, denn immerhin befindet sich die zweitwichtigste Kunstinstitution in Kiel direkt im Neuen Rathaus. Und das in einem ungewöhnlichen, aber logischen Zusammenhang mit anderen kommunalen Diensten: der Stadtbücherei und der „Stadtbilderei“, wie dort die anderswo Artothek genannte Kunstausleihe in ausnahmsweise mal deutschem Neusprech heißt. Und es kommt noch schöner: In der nördlichen Sozialdemokratie kostet die Stadtgalerie samt ihren Annexen keinen Eintritt. Allerdings wird um eine kleine Spende gebeten.

Im Foyerbereich des hauptsächlich auf moderne Kunst ausgerichteten Hauses und in einem angedockten Container gibt es zusätzliche Ausstellungsmöglichkeiten, zurzeit genutzt zu einer kleinen Präsentation über den finnischen Architekten Juha Leiviskä und für eine Arbeit des jungen Kielers Jan Martiensen zum Thema Reisen. So wie die Ars Baltica im Frühjahr dieses Jahres Fotografie des Ostseeraums ins Visier nahm und frühere Präsentationen junger italienischer und französischer Kunst galten, widmet sich die aktuelle Hauptausstellung zeitgenössischer Kunst aus den Niederlanden. Vom Staatlichen Museum Schwerin übernommen, vereint sie sieben KünstlerInnen, die sich vor dem Hintergrund der Tradition der niederländischen Malerei von Vermeer bis Mondrian der Frage nach dem Realitätsgehalt der Bilder widmen.

Das fängt schon einmal an mit dem Problem, was überhaupt ein Bild ist. Nimmt eigentlich irgendjemand in unserer westlichen Kultur einen Orientteppich als bildhaft war, zumal dann, wenn er – wie in Holland üblich – auf dem Kneipentisch liegt? Jeroen de Rijke und Willem de Rooij, die jüngsten der Künstler, haben dazu einen Film gemacht – hier in der Ausstellung ist in schwarzweiß das Foto eines Teppichs in Originalgröße als stilllebenhaftes Bild an der Wand zu sehen.

Dass auch die Videoaufzeichnung einer Aktion noch keineswegs klar macht, was eigentlich geschieht und schon gar nicht warum, zeigt die Videoarbeit Park von Aernout Mik. Das erschöpfende Herumhüpfen einer Gruppe in Freizeitkleidung auf engstem Raum um einen mit einem Porträt geschmückten Parkbaum könnte ein Ritual sein, ließe es nicht einige der Dargestellten völlig unbeteiligt und demontierten nicht unmittelbar daneben einige andere mit Gewalt einen alten Staubsauger. Wie bei alten Allegorien entschlüsselt selbst genaueste Beobachtung eines Geschehens oft nicht dessen Bedeutung.

Zum genauen Hinsehen fordert auch die dritte Position technisch erzeugter Bilder: Es sind Fotos, die Rineke Dijkstra in Israel machte. Die Intensität der Porträts zwingt den Betrachter, zwischen schnell erfasster Rolle und jeweiliger Individualität zu unterscheiden, hinter der Uniform den Menschen zu sehen und sich zu fragen, was wohl in den 13 Monaten geschehen ist, in deren Abstand die Künstlerin dieselben weiblichen Zwillinge zeigt, plötzlich von Kindern zu Erwachsenen geworden.

Die übrigen vier Positionen sind malerischer Art und vermitteln im Zusammenhang den überraschenden Eindruck, die Pop-Art sei wiedergekommen. Das gilt besonders für Tim Ayres graphische, am Computer entworfene Sprachbilder und seine schablonenhaften Porträts. Details des technischen Alltags scheint Han Schuil zu kommentieren: Leuchtend liegt seine designnahe, halbplastische Farbfeldmalerei auf Aluminiumblech, das über einen Keilrahmen gebogen wurde. Anscheinend nur Ausschnitte aus einem Farbkontinuum sind die fast ornamentalen Bilder von Hendri van der Putten. In eher malerischer Selbstreferenz ergehen sich auch die physisch überarbeiteten Großformate von Toon Verhoef. Allerdings legt die häufige waagerechte Trennung des aus Linien aufgebauten, fast gezeichneten Bildraums vage eine Entschlüsselung als Landschaft nahe. Und das schlägt dann wieder einen Bogen zur eher sachlichen Bildtradition der Niederländer, die allzu großem individuellen Selbstausdruck immer skeptisch gegenüberstand.

Die Realität der Bilder – Zeitgenössische Kunst aus den Niederlanden: Stadtgalerie Kiel, Andreas-Gayk-Straße 31; bis 10.8; Katalog: 104 Seiten, 18 Euro