Der Metamusiker

In Dub We Trust: Mit seinem „On-U“-Label avancierte der Brite Adrian Sherwood zum wichtigsten Produzenten für Dub in Europa. Mit 45 Jahren hat er jetzt seine erste eigene Platte veröffentlicht

von THOMAS WINKLER

Fragen wir doch den Fachmann: Den legendärsten Reggae-Produzenten, der nicht auf Jamaika geboren wurde. Den Inhaber des einflussreichsten Reggae-Labels Europas. Den wichtigsten Dub-Mixer der Gegenwart. Fragen wir Adrian Sherwood. Was, Herr Sherwood, macht einen guten Dub-Mix aus? „Ein guter Dub“, antwortet der Meister mit einem süffisanten Grinsen, „ein guter Dub lässt die Menschen mit dem Gefühl zurück, immer mehr zu wollen.“

Um Sucht geht es also. Adrian Sherwood ist der Droge namens Dub schon lange verfallen. Doch erst jetzt, nach einem Vierteljahrhundert im Musikgeschäft, hat er ein ganzes Dub-Album unter eigenem Namen veröffentlicht. „Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt auf der Rückseite von Schallplatten“, erklärt der glatzköpfige, schmale Mann, warum seine Dub-Remixe bislang überwiegend auf B-Seiten von Maxi-Singles erschienen. Dass er noch Schallplatten sagt, also „Records“, lässt erahnen, wie lange er schon dabei ist. So lange, dass er schon einer schier unendlichen Liste an prominenten Namen aus völlig unterschiedlichen Genres als Produzent und Remixer zur Seite stand, darunter Garbage, Manu Dibango, The Cure, Lee Perry, die Einstürzenden Neubauten, Simply Red, The Fall, die Stone Roses, Living Colour oder Cabaret Voltaire. Nun aber, mit immerhin reifen 45 Jahren, hat er erstmals den „großen Schritt vom Fond auf den Fahrersitz“ gewagt.

Eine ganze Reihe junger Musikanten und Produzenten hat er mit ins Auto geholt – zusätzlich zu den vielen alten Freunden aus den glücklicheren Tagen seiner eigenen Plattenfirma On-U, das mit Acts wie Dub Syndicate, Tackhead oder African Headcharge in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren als bedeutendstes Reggae- und Dub-Label außerhalb Jamaikas galt. Auf einigen der Tracks singen gar die beiden Töchter von Sherwood, sechs und 18 Jahre alt. „Diese Platte sollte zusammenfassen, was ich in den letzten 25 Jahren gemacht habe“, sagt Sherwood, aber auch: „Man braucht immer neues Blut, sonst klingt man irgendwann altbacken.“

Altbacken klingt „Never Trust The Hippy“ sicherlich nicht. Für Sherwoods Verhältnisse eher streng und zielgerichtet, elektronisch und fast schon nüchtern. Wie gewohnt erschließen sich die Tracks mit ihren komplex übereinander geschichteten Ebenen, mit ihren mannigfaltigen Effekten wie Echos, Delays und Reverbs erst nach mehrmaligem konzentriertem Hören vollständig. Sherwood wollte, so sagt er, einen Sound kreieren, „der konkurrenzfähig ist“. Seine neuen Tracks sollten nicht nur ein Nischenpublikum bedienen. „Ich liebe akustische Drums“, sagt Sherwood und hat sie auch auf drei der Songs verwendet, „aber wenn ich ausschließlich akustische Drums benutzt hätte, würde die Platte niemals in einem großen Teil der Clubs aufgelegt werden. Wenn man in Clubs gespielt werden will, wenn man tough klingen will, dann sollte man seine Tracks verdammt noch mal programmieren.“

Das hat Sherwood schon immer getan. Aber als sich die jamaikanische Dancehall-Szene ausschließlich auf Riddims aus dem Rechner stützte, bewahrten On-U-Acts wie Dub Syndicate weiter tapfer den warmen, sexualisierten Klang des Roots Reggae, der dieser Tage wieder gefragt ist. So mag sich Adrian Sherwood zwar antizyklisch zum Auf und Ab des Musikgeschäfts verhalten. Trotz der Beats aus der Box und dank seiner bekannt genialen Fähigkeiten am Mischpult aber ist „Never Trust A Hippy“ eine Platte geworden, die alle Anforderungen erfüllt, die er an einen Dub-Mix stellt: „Es geht um den Gebrauch der Leerräume – darum, wie Melodien nur angedeutet werden. All das, was in anderen Musiken nicht beachtet wird, rückt bei Dub in den Vordergrund.“

„Never Trust A Hippy“ ist zwar kein Quantensprung für Sherwood, aber doch ein künstlerischer Neuanfang, der zudem einhergeht mit einem geschäftlichen. Vor vier Jahren musste Sherwood On-U, Label und Sound System, auf Eis legen. „Wir lebten von der Hand in den Mund“, erzählt er im Frühstücksraum eines Hotels mit Blick auf den Berliner Lietzensee. „Wir hatten ja nie einen richtigen Hit. Zum Schluss arbeiteten bei On-U sieben Menschen allein im Büro, in zwei Studios, im Lager. Das war eine Vakuum-Pumpe, die Geld heraussaugte, das nicht hereinkam.“

Nicht ganz billig war es auch, die On-U-Family zu ernähren. Zwischenzeitlich hatte man mehrere Wohnungen angemietet, in denen Musiker, DJs und Produzenten zusammen lebten und arbeiteten, auf Tour ging es mit bis zu 40 Menschen. „Da braucht man kein Genie zu sein, um sich auszurechnen, dass sich das nicht tragen kann.“ Nach dem Ende der Labelarbeit arbeitete Sherwood mit Produzentenjobs und Live-Dub-Shows den angehäuften Schuldenberg ab.

Heute sieht er das Scheitern von On-U Sound weniger als persönliches Versagen denn als Teil eines strukturellen Problems: „Der Einfluss von Dub auf die Dancemusic ist enorm. Die Idee hatte eine große Faszination und fand Eingang in viele Genres, von Bill Laswell bis zu Kruder & Dorfmeister.“ Kommerziellen Erfolg aber hatten reine Dub-Acts in Europa selten, weil Dub zwar als Metamusik für Musiker und Musikschreiber interessant war, aber nie ins Bewusstsein der Konsumentenmassen dringen konnte. Selbst während des Neo-Dub-Booms in Großbritannien Ende der 90er-Jahre regierte Dub zwar die Tanzböden, blieb in den Charts aber erfolglos. Sherwoods Fazit ist schlicht: „Unsere Künstler waren bei den Kritikern beliebt, aber sie verkauften nicht genug Platten.“

Trotzdem hat Sherwood im vergangenen Jahr seine Plattenfirma On-U Sound reaktiviert. Neue Alben sind erschienen, und der weit über 100 Titel starke Back-Katalog soll verwertet und zum Teil wieder veröffentlicht werden. Bis es so weit ist, dauert es aber noch ein bisschen. Noch dröhnt über den an diesem Spätwintertag über den Lietzensee nicht die Kunde vom kommerziellen Erfolg von Dub, sondern leise nur eine nahe gelegene Verkehrsader. Mit ein wenig Fantasie erinnert das modulierende, auf- und abschwellende Alltagsgeräusch an die Struktur eines Dub-Mixes.

Denn, wie hatte der erste Fachmann nicht gerade eben gesagt? „Für einen guten Dub-Mix braucht man erst mal einen guten Rhythmustrack“, hatte Adrian Sherwood gesagt, „und dann braucht man eine Menge Fantasie.“

Adrian Sherwood: „Never Trust A Hippy“ (Real World/ Virgin). DJ-Auftritte: 23. 4. Darmstadt, 24. 4. München, 25. 4. Stuttgart, 26. 4. Berlin, 27. 4. Hamburg, 29. 4. Köln, 30. 4. Bielefeld