„Autismus in der Schulpolitik“

Heftiger Schlagabtausch in der Bürgerschaft über Bildung. Opposition unterstützt Volkspetition: „43.000 Denkzettelfür Senator Lange“. Dieser sieht gar keine Kürzungen und versteht deshalb die Aufregung der Betroffenen nicht

von SVEN-MICHAEL VEIT

Die Schulpolitik der Rechtskoalition bleibt eines der heißesten Themen in der politischen Aus-einandersetzung in Hamburg. Gleich dreimal stand es gestern auf der Tagesordnung der Bürgerschaft; reichlich Gelegenheit für die RednerInnen aller fünf Fraktionen sowie für Schulsenator Rudolf Lange (FDP), sich in wechselseitigen Schuldzuweisungen zu überbieten: Weil Britta Ernst (SPD) Lange „politischen Autismus“ vorwarf, ereilte sie die Forderung von Katrin Freund (Schill), „mit diesen Hetzereien aufzuhören“.

Angenommen wurde nach teilweisen polemischen Debatten ein Koalitionsantrag, der Kindern einen Platz an der nächstgelegenen Schule sichern soll. An zweiter Stelle folgen Kinder aus anderen Stadtteilen, deren Geschwister die fragliche Schule besuchen, auf dem dritten Platz Kinder von Alleinerziehenden. Die Sicherung der integrativen Regelklassen, welche SPD und GAL forderten, wurde von der Schwarz-Schill-Mehrheit hingegen abgelehnt.

Weiteres Thema war die Volkspetition, die kürzlich bei der Bürgerschaft eingereicht wurde: Mehr als 43.000 HamburgerInnen fordern darin einen Kurswechsel in der Schulpolitik, „43.000 Denkzettel“ für Bildungs-Admiral Lange, wie SPD und GAL meinen. Beide Oppositionsfraktionen unterstützen die Petition. Lang ist Langes „Sündenregister“, das Ernst und GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch aufzuzählen wussten. Der Abbau von 345 Lehrerstellen in diesem Jahr und die Streichung von 410 Referendarstellen im nächsten gehören ebenso dazu wie die Abschaffung der Lernmittelfreiheit und die Schließung von Fachoberschulen.

Vorwürfe genug, um Martin Woestmeyer (FDP) seinem Senator an die Seite springen zu lassen. Dieser und die gesamte Koalition stünden für „Gerechtigkeit statt Gleichmacherei“, für einheitliche Bildungsstandards, bessere Perspektiven für Privatschulen und die Sanierung von heruntergekommenen Schulgebäuden, gab Woestmeyer zu Protokoll. So isses, ergänzte der Senator, und gab unter rot-grünem Gelächter seine Interpretation der Volkspetition um Besten: Diese richte sich gegen „vermeintliche“ Kürzungen im Schuletat, und da es diese „nicht gibt, geht die Petition fehl“.

Eine Sichtweise, die Lehrerin Goetsch umgehend erneut ans Rednerpult trieb, um Lange „ein Jahr Stümperei gegen die Kinder unserer Stadt“ vorzuwerfen. Vor allem die „Stärkung des dreigliederigen Schulsystems“ welche Freund zuvor zum Sinnbild für „mehr Leistung“ erhoben hatte, wiederspreche nicht nur allen Erkenntnissen der PISA-Studie, sondern sie führe geradezu „zu Trennung und Ausgrenzung statt zu Integration“. Worauf Wolfgang Drews (CDU) resigniert klagte: „Sie verstehen einfach nicht, was wir alles verbessern wollen.“ Von einem „Vermittlungsproblem“ könne ja wohl keine Rede sein, konterte Ernst; „Ihre Schulpolitik wird in Hamburg sehr gut verstanden“, versicherte sie unter Verweis auf die 43.000 Denkzettel: „Aber sie wird abgelehnt.“