Total politisiert

Die aktuelle Suche nach einem neuen Direktor wird zur Schlüsselfrage für das Dresdner Hannah-Arendt-Institut

Zwei Jahre nach seiner Beinahe-Selbstentleibung steht das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) vor dem entscheidenden Test auf seine Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit. Im November 1999 hatte eine Zeitungsveröffentlichung des Mitarbeiters Lothar Fritze Aufsehen erregt, in der er die moralische Qualifikation des Hitler-Attentäters Georg Elser von 1939 in Frage stellte. Das Medienecho legte zugleich die Spannungen innerhalb des Instituts offen und richtete den Blick auf parteipolitische Einflussnahmen.

Nun, da es um die Berufung eines neuen Direktors und die Ergebnisse der jüngsten Evaluierung von Anfang Februar geht, scheint man keinen Schritt weiter zu sein. Der parteiübergreifende Gründungskonsens von 1991 ist längst zerfallen. Unzufrieden mit einer stecken gebliebenen Kerzenrevolution erwartete beispielsweise der damalige CDU-Einsteiger Matthias Rößler vom Institut „Strategien für Strukturreformen, für die notwendigen Transformationsprozesse in der ‚postkommunistischen Gesellschaft‘ “. Der Bayer Heinrich Oberreuter sprach als Mitglied der Gründungskommission wieder einmal von jenem „volkspädagogischen Effekt“, der einen sofort alarmiert. Es ging also um den eindeutigen politischen Auftrag, aus der Analyse der NS-Diktatur den direkten Vergleich mit dem SED-Regime zu folgern.

Über dieses damals durchaus populäre Bedürfnis aber ist die Zeit in zweifacher Hinsicht hinweggegangen. Jeder Verleger weiß, dass die Zeit der Enthüllungsbücher über die DDR vorbei ist und deren Bewältigung sich auf die literarische Ebene verlagert. Und die mittlerweile fast zwölfjährige Erfahrung mit der politischen Praxis Westdeutschlands, insbesondere mit einer sächsischen CDU-Alleinherrschaft, haben das Vertrauen in die Demokratie keineswegs gestärkt, wie Umfragen beschämend belegen. Nur in strikter wissenschaftlicher Neutralität und nicht etwa als Munitionsfabrik gegen die PDS hätte das Hannah-Arendt-Institut eine Chance gehabt.

Es lieferte indessen selbst ein Beispiel für den Durchgriff einer Partei auf die Wissenschaft. Nicht durch plumpe Themenvorgaben, sondern über die Personalpolitik. Anfang Februar erschien in München ein Aufsatz von Ulrich von Hehl, ehemaliges Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des HAIT. Darin schildert er anhand der leidigen Affäre um die Bewertung des Elser-Attentats den wachsenden Einfluss des Kuratoriums, an dessen Spitze der inzwischen zum Kultusminister avancierte Matthias Rößler steht. Auf dessen Betreiben wurde 1999 ein in der Satzung nicht vorgesehener zweiter Stellvertreter installiert, eine Art politisches Gegengewicht zu Direktor Prof. Klaus Dietmar Henke (SPD) und seinem Stellvertreter Clemens Vollnhals. Uwe Backes, der neue Mann, schlug sich im Elser-Streit prompt auf die Seite des Verunglimpfers Fritze. Als Folge der Affäre wurde Henkes Vertrag bekanntlich nicht verlängert, am 31. Januar dieses Jahres hatte er seinen letzten Tag im Institut, bleibt jedoch der TU Dresden erhalten. Es gingen aber auch im Zorn drei der sechs Beiratsmitglieder, darunter der Vorsitzende Prof. Hans Günter Hockerts und der international renommierte Prof. Saul Friedländer.

Der nächste Rößler-Coup bestand in einer Reduzierung der Landtagsvertreter im Kuratorium von drei auf zwei, um den Historiker Prof. Werner Bramke von der PDS zu verhindern. Das jüngste Vorhaben einer Satzungsänderung aber scheiterte erstaunlicherweise im Trägerverein. Damit sollte dem als stockkonservativ geltenden Heinrich Oberreuter der Weg an die Institutsspitze geebnet werden. Der aber hat nicht den vorgeschriebenen Lehrstuhl in Sachsen und bleibt somit Übergangsdirektor bis zum Erfolg einer jetzt beginnenden Ausschreibung. Als wichtigste Aufgabe sieht er bezeichnenderweise die Schlichtung der Fronten innerhalb des Instituts an. Hier spielen Ost-West-Differenzen nach wie vor eine Rolle. Die Installation eines parteipolitischen „Alter Ego“ zu Vorgänger Henke hält er für selbstverständlich und stellt damit die postulierte wissenschaftliche Unabhängigkeit selbst in Frage.

In die Berufungskommission schickt die federführende Philosophische Fakultät der TU Dresden mit Dekan Martin Jehne, dem Soziologen Karl-Siegbert Rehberg und dem Politologen Hans Vorländer durchaus liberale Leute. Ein auffälliger Kontrast zu den vier Kuratoriumsmitgliedern in der Kommission, deren äußerster Rechtsaußen und Backes-Freund Eckhardt Jesse aus Chemnitz durch seine geschichtsrevisionistischen Schriften bekannt ist. Über die Ergebnisse der mit Spannung erwarteten Evaluation hüllt sich das Wissenschaftsministerium noch in Schweigen. Institutsmitarbeiter, die abseits des politischen Ränkespiels stehen, wünschen sich vor allem wieder eine entspannte Arbeitsatmosphäre. Ausgerechnet das für den Ex-DDR-Bürger wohl spannendste Projekt aber liegt derzeit auf Eis: eine Studie über den Elitewechsel nach 1989. MICHAEL BARTSCH