Unvernünfte unter sich

Wahn ohne Wahrheit: Christoph Coburger arrangiert Franzobels „Narrenturm“ in Düsseldorf zu subtiler Satzmusik

Kaiser Joseph II. hat sich mit Aufgeklärtheiten einen Namen gemacht. Die Leibeigenschaft hat er beseitigt und die Folter. Er ließ Schulen bauen. Und einen Turm, den Narrenturm, in den man die Irren einschloss, die ganz Unaufgeklärten. Merke: Die Vernunft sperrt ihr anderes ein; sie bringt den Wahnsinn zum Schweigen.

Der Lehrsatz hatte genug Zeit, um von der Provokation zum Gemeinplatz einzutrocknen – Foucaults „Wahnsinn und Gesellschaft“ erschien 1961. So ist es nur gut, dass der österreichische Schriftsteller Franzobel in „Narrenturm“, seinem neuen Stück, nicht darauf insistiert. Zwar lässt er die beiden Seiten der Vernunftmedaille aufblitzen: Es gibt einen Joseph, der einerseits für alles Rationale und andererseits vom Turm für Geisteskranke schwärmt. Aber im Ganzen ist das Stück auf der dunklen Seite angesiedelt: Es sperrt acht Figuren zusammen, die den Sektor des Normalen verlassen haben.

Zur Belegschaft gehören neben Joseph auch seine Mutter Maria Theresia und seine Frau Isabella, des Weiteren Rudolf Schwarzkogler, Wiener Aktionist, eine Pathologin, eine verhinderte Künstlerin und ein mal mythisch, mal sachlich sinnierender Mann namens Ahab; am Rande ein Hausmeister. Alle sind sie irgendwie aus dem Alltag herausgerutscht und halten sich nur noch an ihren Obsessionen fest.

Insofern haben sie etwas gemein, aber dennoch können sie nichts miteinander anfangen. Jeder hat seine Themen und auch seinen Ton. Die eine hat eine Vorliebe für Konjunktive, die andere betont ihre Wörter an unmöglichen Stellen. Die eine klagt in gewählten Worten, die andere eher schlicht. Aber alle klingen ein bisschen nach Franzobel, nach anderen Texten des Wiener Vielschreibers: Mitunter kollidieren Umgangssprache und Eigenwilligkeiten zu verschrobenen Formationen, und an vielen Stellen fasst sich die Sprache fleischern an. „Vielleicht ist der Tod ein keimender Wunsch“, philosophiert Ahab, „der Träger des Himmels, ein Achselschweißschwarm.“

So monologisieren sie vor sich hin. Irgendwann tauchen ein paar Motive wieder auf, die am Anfang schon da waren: Dann kann das Ende nicht mehr weit sein. Aber irgendwie könnte alles ewig weitergehen. Entwicklungen sind dem Text nicht anzumerken. Der Uraufführung hingegen schon. In seiner Inszenierung im Düsseldorfer Forum Freies Theater hat Christoph Coburger dem „Narrenturm“, den er auch angeregt hat, eine Dramaturgie verliehen. Und zwar subtil: Coburger, ausgebildeter Komponist und Dirigent, behandelt den Text wie eine Partitur. Er hat nicht nur A-cappella-Arrangements für die Lieder geschrieben, die der Autor in das Stück gestreut hat, sondern den kompletten Abend rhythmisiert. Den ruhigen Wechsel der Monologe lässt er durch Bemerkungen und Kommentare auflockern; etwa in der Mitte des Abends nimmt er ganz das Tempo heraus, Sätze stehen einzeln im Raum. Dann fallen die Worte wieder dichter, bündeln sich zu einem Finale, klingen aus. Diese Satzmusik bindet die disparaten Stimmen, die hier auf fünf Akteure verteilt sind, zu einem Ganzen zusammen. Sie lassen sich als Chor wahrnehmen, auch wenn immer eine Stimme dominiert.

Gleichzeitig grenzen die Schauspieler die Figuren hart voneinander ab. Jede Obsession nimmt eine eigenwillige Gestalt an. Die Talkshow-Apologetin stattet Juliane Werner zum Beispiel mit puppenhafter Steifheit aus. Lars Studer doziert vom „Frauenschenkkreis“ mit den besänftigenden Bewegungen eines Versicherungsvertreters.

So gewinnt „Narrenturm“ bei der Uraufführung eine präzise Form. Wenn die Aufmerksamkeit der Zuschauer an den redundanten Monologen abgleitet, kann sie sich an Klängen und Körpern festhaken. Eines allerdings steht nicht in der Macht der Inszenierung: Sie kann die Narren nicht zu einem Sinn zwingen. Die Themen der Turminsassen bilden kein subversives Wissen, sondern ein paar isolierte Unvernünfte. Der Glaube, dass im Wahn eine Wahrheit steckt, ging nun mal verloren, als man die Irren damals in die Türme sperrte. Wenn sie jetzt mal Ausgang haben, macht sie das noch lange nicht weise. MORTEN KANSTEINER