theorie und technik
: No Direction Home

Selbst der fadeste Ökonom kriegt nicht die Utopie aus der Kunst heraus und die Eigensinnigkeit nicht aus dem Künstler.

Seit der Kapitalismus mit besonderer Raffinesse die „Soft Skills“ ausbeutet und damit auch die Kreativität verwertet, gibt es ja so eine Identitätskrise in der Kunstwelt. Hatte man die Künstlertugenden nicht immer als das „große Andere“ der bloßen Kapitallogik betrachtet? Und tut nicht der Umstand, dass ein florierender Markt mit bildender Kunst entstanden ist, mit Kunstmessen und institutionellen Investoren, die „in Bilder gehen“, so wie sie auch „in Öl“, oder „in Futures“ oder „in Immobilien“ gehen, das Seine dazu? Ist die Kunst also nur mehr eine Branche wie alle anderen auch?

Dass dies nicht so einfach zu beantworten ist, zeigen unter anderem ein paar neue Filme, die jüngst in die Kinos kamen (und ein paar alte, die man sich parallel ansehen sollte): „I’m Not There“, Todd Haynes’ Filmbiografie über Bob Dylan, und „Shine A Light“, Martin Scorseses Konzertfilm über die Rolling Stones. Es schadet auch nicht, Scorseses Dylan-Porträt von 2005, „No Directon Home“, und D. A. Pennebakers Dylan-Dokumentarfilm „Don’t Look Back“ von 1967 noch einmal anzusehen.

Die Neuen unter diesen Filmen sind zunächst Ausdruck einer Melancholie nach den „Sixties“, dem letzten großen euphorischen Jahrzehnt der Moderne. In einem gewissen Sinne kann man sagen, dass das aktuelle „Sixties“-Revival mehr ist als eine bloße Retromode, die Sechziger erfahren gerade eine Verklärung und Kanonisierung wie bisher beispielsweise Berlins „Goldene Zwanziger Jahre“. In Haynes’ Film, in dem der Poet, Songwriter und Performer ja von mehreren Schauspielern verkörpert wird, verdichtet sich diese Sehnsucht nach einem Augenblick, in dem man noch auf volle Weise avantgardistisch sein konnte, in der stärksten der sieben Dylan-Figuren – in dem Dylan, der von Cate Blanchett gegeben wird.

Aber auch Scorseses Stones-Konzertfilm spielt mit dieser Erinnerung an eine Zeit, die noch „Rock ’n’ Roll“ war – aber er unterläuft auch alle Nostalgie. Zunächst, weil der Rock längst etabliert ist (Bill Clinton kommt mit Familie und Freundestross zum Gig), andererseits, weil sichtbar gemacht wird, dass die Show harte Arbeit ist, so wie ein Job in der Stahlgießerei oder im Trading Room der Brokerhäuser.

Im Laufe des Films werden die peinlichen alten Rocker zu großen Figuren, die es immer noch in den Schenkeln haben. Auch wenn die Show exakt durchdramatisiertes Business ist, kommt sie doch nicht ohne das Energetische, das Intensive aus. Keith Richards sieht zwar aus wie geschätzte 190, aber er ist doch nur in biologischer Hinsicht alt. Das ist zwar nicht das, was wir uns früher unter „Forever Young“ exakt vorgestellt hatten (das war das popreligiöse Säkularisat des Traums von der ewigen Jugend), ist aber doch vielleicht ein Versprechen auf zeitgenössisches, ungezähmtes Altern.

Schon in seinem Dylan-Porträt „No Direction Home“ hatte Scorsese auf produktive Weise die Spannung offengehalten zwischen dem Industriellen des Pop, das Dylan erst ermöglichte, und der Eigensinnigkeit des Performers. An einer schönen Stelle sagt ein Weggefährte, Dylan war eben nicht vollends manipulierbar von seinem geschäftstüchtigen Manager, weil er eben „noch verrückter“ als dieser gewesen sei.

Als ich jüngst durch die „Vienna Art Fair“ schlenderte, die Wiener „Messe für Contemporary Art“, die es in ihrer Warenförmigkeit mit der „Art Cologne“, der weltweit ältesten Kunstmesse, oder der „Art Basel“ natürlich nicht aufnehmen kann, konnte ich es förmlich körperlich spüren: Ja, das ist ein Markt, aber er erschöpft sich nicht in seiner Warenförmigkeit. Ehrlich gesagt war es ein sehr angenehmes Gefühl: Das Kommerzielle macht die Kunst niedrigschwelliger, weil es sie ein wenig der metaphysischen Aura des Kunstreligiösen entkleidet, ohne dass es sie völlig kannibalisiert.

Ja, dass sich die Kunst nicht im Marktförmigen erschöpft, sie ihres utopischen Moments nicht völlig entledigt ist, ist geradezu die notwendige Bedingung dafür, dass ein Markt entstehen kann – weil alle Teilnehmer auf diesem Markt die „Metaphysik“ der Kunst anerkennen müssen, weil sie einen Überschuss braucht, ein Irgendetwas, „das in keiner ökonomischen Logik aufgeht“, wie die Kulturtheoretikerin Isabell Graw schreibt: „Ohne die Verheißung eines Symbolwerts … kann es keinen Marktwert geben.“

Um nicht falsch verstanden zu werden: Das macht all die CEOs, die ihre „Offices“ mit Installationen behübschen, und all die glatten Poschardts aus dem „Geschmacksbürgertum“, die sich das symbolische Kapital der Kunst aufs Ich-Konto buchen wollen, nicht sympathischer; auch das Gerede von den „Creative Industries“ soll damit nicht utopisch aufpoliert werden. Aber es ist in der Kunst etwas Utopisches und im Künstlersubjekt etwas Eigensinniges, das selbst der fadeste Betriebswirt nicht herauskriegt. ROBERT MISIK