Lügt Kavala?

Ungedeckte Schuldzuweisungen und eigenwillige Meldungen lassen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Polizeisondereinheit aufkommen

AUS ROSTOCK DANIEL SCHULZ

Die Meldung von gestern Mittag klang dramatisch: Die Blockierer der Zufahrtsstraßen zum G-8-Tagungsort Heiligendamm bauten Brandsätze und sammelten Steine. Ausschreitungen seien zu befürchten. Vor Ort jedoch bot sich taz-Reportern und anderen Augenzeugen ein anderes Bild: Sowohl beim Dorf Börgerende als auch zwischen Bad Doberan und Heiligendamm sahen sie nur friedliche Blockierer auf den Straßen sitzen. Selbst die Polizisten vor Ort schätzten die Lage als ruhig ein: „Die sind doch friedlich, daher können sie bisher auch bleiben.“

Welche Darstellung stimmt? In den vergangenen Tagen erwies sich manche Meldung, die die Polizei an die Öffentlichkeit gab, als von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt. So sollen bei den Blockaden der Gruppe Block G 8 vorgestern bereits Steine geflogen sein, die unabhängige Augenzeugen und anwesende Journalisten aber nicht gesehen haben. Später ließ die Polizei verbreiten, nach den angeblichen Ausschreitungen seien stark verletzte Beamte mit Hubschraubern zur Behandlung ausgeflogen worden. Dabei wurden lediglich einige Beamte vor Ort wegen leichter Verletzungen verarztet.

Die aufsehenerregendste Meldung der Polizeisondereinheit Kavala war sicherlich die von der Säure-Attacke: Demonstranten in Clowns-Kostümen sollten Polizisten mit einer chemischen ätzenden Flüssigkeit besprüht haben. „Acht Polizisten mussten ins Krankenhaus“, behauptete Polizeisprecher Axel Falkenberg am Dienstag. Inzwischen stellte sich heraus, dass in den zwei Rostocker Kliniken nach Angaben eines Sprechers nur zwei Polizisten nach dem „Kontakt mit einer unbekannten Flüssigkeit“ untersucht wurden. Ein Krankenhaussprecher kommentierte die angeblichen Verätzungen gegenüber Spiegel Online damit, dass „möglicherweise alles ganz harmlos“ sei. Auch mehrere Polizisten in Rostock widersprachen den Darstellungen der Kavala: Die Clowns seien bisher absolut friedlich aufgetreten, die Flüssigkeit sei Seifenwasser.

Bei der Kavala-Pressestelle weist man jeglichen Zweifel an der Integrität der eigenen Arbeit zurück: „Wir streuen keine Falschmeldungen“, sagte ein Sprecher. „Und was diese Flüssigkeit ist, können wir noch nicht sagen, sie wird noch untersucht.“

Warum dann die eilige Schuldzuweisung an die Clowns? Und warum gehen derart zweifelhafte Erkenntnisse in polizeiliche Gutachten ein, mit denen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit begründet werden? Als das Bundesverfassungsgericht das Demonstrationsverbot um den G-8-Tagungsort bestätigte, wollte das Demonstrationsbündnis Ersatzveranstaltungen anmelden, darunter eine Kundgebung in Kühlungsborn.

Kavala lehnte am Mittwoch mit einer elfseitigen Begründung ab, die der taz vorliegt. Darin werden auch ungesicherte Informationen angeführt, wie die, dass „Polizeikräfte gezielt mit chemischen Flüssigkeiten angegriffen“ würden – obwohl die Zweifel an dieser Darstellung schon bekannt waren. Auf Seite 5 argumentieren die Beamten mit einer angeblich hohen Gewaltbereitschaft der Demonstranten, die die Straßen nach Heiligendamm blockieren wollten: „Hierbei gingen die Autonomen mit brutaler Gewalt unter Verwendung von Äxten, Steinen, Brandsätzen etc. vor, wobei sie auch nicht vor Angriffen auf Polizeibeamte zurückschreckten.“

Die Glaubwürdigkeit der Polizei beschädigt in den Augen der Protestler auch ein anderer Vorfall: Vorgestern war den Teilnehmern der Blockade zwischen Bad Doberan und Heiligendamm eine Gruppe von fünf Maskierten aufgefallen, die tschechische Protestierer aufforderten, Steine zu werfen und härter gegen die Polizei vorzugehen.

Mehrere Blockierer sprachen die Anheizer an und umstellten einen von ihnen. Weil mehrere Demonstranten aus Bremen glaubten, einen Zivilpolizisten aus ihrer Stadt erkannt zu haben, forderten sie ihn auf, seinen Ausweis zu zeigen. Als er sich weigerte, wurde er zu Polizisten geführt, die ihn dann in ihre Mitte aufnahmen. Diese Szene wurde auch von Journalisten der taz und anderer Medien beobachtet. Bisher weist die Polizei jegliche Verbindung zu den Krawallsüchtigen zurück. „Das würde der Vorgehensweise der Polizei aller Bundesländer widersprechen“, sagte ein Kavala-Sprecher gestern. Mitarbeit:

MALTE KREUTZFELDT

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