Arbeitsunfälle bald neu versichert

Ministerium will Leistungen bei Berufskrankheiten verändern. Gewerkschaften kritisieren, dass viele Betroffene weniger Geld erhalten sollen. Außerdem droht eine Verjährungsfrist von zehn Jahren. Den Arbeitgebern geht die Reform nicht weit genug

AUS BERLIN LARS KLAASSEN

Schon 2008 soll die Reform der gesetzlichen Unfallversicherung in Kraft treten. Die Leistungen nach einer Berufskrankheit oder einem Arbeitsunfall ändern sich: Die meisten Betroffenen werden geringere Entschädigungen erhalten, einige Geschädigte mehr. Dies geht aus einem der taz vorliegenden Arbeitsentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hervor.

Das Papier soll im August in einen Kabinettsentwurf münden, wird derzeit aber noch in einer Arbeitsgruppe der Bund-Länder-Kommission beraten, da der Bundesrat ebenfalls darüber abstimmt. Dass die Reform unter so hohem Zeitdruck vonstattengeht, wird von den Gewerkschaften kritisiert. Sie befürchten nicht nur Schlampigkeit, sondern auch deutliche Verschlechterungen für Arbeitnehmer.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisierte hingegen gestern in Berlin, dass teilweise auch Leistungen ausgeweitet würden. Die Industrie fordert seit langem vergeblich, die Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeitsstätte müssten aus der von den Arbeitgebern allein bezahlten Versicherung herausgenommen werden. Insgesamt müssten die Beiträge um 25 Prozent sinken, verlangte Hundt.

Mehr Gerechtigkeit und größere Zielgenauigkeit der Leistungen werden vom Bundesministerium als die zwei Hauptziele der Reform genannt. Mangelnde Gerechtigkeit wird daran festgemacht, dass Versicherte bisher die gleichen Leistungen erhalten, unabhängig davon, ob sie nach einer Schädigung weiterarbeiten können oder nicht. Insbesondere Schwerstverletzte werden nach derzeit gültigem Recht nicht angemessen entschädigt.

Laut dem Gesetzentwurf wird ein grundlegender „Systemwandel“ im Leistungsrecht angesteuert: Gegenwärtig werden Renten abstrakt bemessen nach Katalogen und Prozenten. So erhalten etwa nach Abtrennung eines Fingers ein hochdotierter Chirurg und ein Handwerker gleich viel, Verletzungen werden lebenslang entschädigt. Dies soll durch eine Trennung zwischen Gesundheitsschaden und konkreter Erwerbsminderung abgelöst werden: Künftig würde es etwa für den abgetrennten Finger eine einmalige Entschädigung für alle geben, plus einen Anteil am Verdienstausfall.

Der Ausgleich dieser Erwerbsminderung würde anders als bisher mit Eintritt in die gesetzliche Rente erlöschen. Die IG Metall kritisiert, dass es durch diese Regelung zu erheblichen Einkommenseinbußen im Rentenalter komme. Internen Berechnungen zufolge stünden sich betroffene Rentner künftig 200 bis 400 Euro pro Monat schlechter.

Aber die Liste der Angriffspunkte ist noch länger: Einkommenseinbußen bis zu 10 Prozent durch Verletzungen sollen grundsätzlich nicht mehr entschädigt werden. Gesundheitsschäden, durch die die Erwerbsfähigkeit um bis zu 20 Prozent gemindert wird – etwa bei Verlust eines Daumens, extremer Lärmschwerhörigkeit oder chronischer Hauterkrankung – würden künftig nur mit einer monatlichen Pauschale von 50 Euro beglichen.

Ebenfalls in der Kritik: Berufliche Erkrankungen, deren Ursache länger als zehn Jahre zurückliegt, werden nicht berücksichtigt. Für die Versicherten wird es damit künftig schwierig, erst lange nach dem Versicherungsfall eingetretene Erwerbseinbußen entschädigt zu bekommen. Dies wäre auch bei einer Verschlimmerung der Fall. Eine weitere Kürzung: Erhielt ein Berufskranker bisher maximal 66,6 Prozent des Jahresarbeitsverdienstes, werden es künftig maximal 60 Prozent sein.

Das Arbeitsministerium will sich nicht zu den Kürzungen äußern, da es sich bisher lediglich um einen Arbeitsentwurf handele, wie ein Sprecher sagte.