taz.gespräch in Magdeburg, 25.02.2016: Ostdeutsche Identitätsbedürfnisse

Die taz lud zur Diskussion über die Frage, ob Sachsen-Anhalt mit der Landtagswahl nach rechts rutscht. Und was dagegen unternommen werden könnte.

Januar 2016: Goldblond contra Sharia – TeilnehmerInnen einer AFD-Kundgebung in Magdeburg. Bild: dpa

Angriffe auf Flüchtlingsheime, Pegida-Demonstrationen, Zulauf für die AfD: Droht Sachsen-Anhalt – und dem Rest der Republik – ein Rechtsruck? Und was können wir dagegen tun? Zu dieser Fragestellung lud die taz am 25.02.2016 nach Magdeburg ein, um mit LeserInnen und GenossInnen dort diskutieren, wo aktuellen Umfragen zufolge die AfD bei der Landtagswahl möglicherweise vor der SPD liegen könnte.

Die TeilnehmerInnen des taz Gesprächs am 25. Februar 2016. Bild: taz

Zur Diskussion eingeladen waren Andreas Zick, Konflikt- und Gewaltforscher von der Universität Bielefeld, Cornelia Habisch, Landeszentrale für politische Bildung, Mamad Mohamad, Geschäftsführer des Landesnetzwerkes der Migrantenselbstorganisation Sachsen-Anhalt und David Begrich von Miteinander e.V., die innenpolitische Korrespondentin der taz, Sabine am Orde, moderierte.

Es war voll im Magdeburger Familienhaus im Park, etwa 120 Menschen, darunter sehr viele junge Leute, wollten hören, was die Eingeladenen zu sagen hatten. Cornelia Habisch, in deren Aufgabenbereich u.a. die Koordination der 106 Schulen ohne Rassismus – Schule mit Courage (SOR-SMC) in Sachsen-Anhalt liegt, leitete die Diskussion mit der Feststellung ein, dass „es einen gewachsenen öffentlich geäußerten Rassismus gibt, das lässt sich an den SchülerInnen deutlich ablesen“.

Möglichst schnell weg von hier

David Begrich, dessen Netzwerk Miteinander e.V. ein analytisches Themenheft „AfD vor den Landtagswahlen“ erstellt hat, widersprach dieser Einschätzung nicht: „Die Hemmschwelle durchschnittlicher Bürger, Veranstaltungen zu besuchen, die von rechtsextremen Parteien und Gruppierungen angeboten werden, ist stark gesunken“. Dies sei unter anderem auf die starke Emotionalisierung der politischen Debatte zurückzuführen, die auch von den etablierten Parteien aufgenommen würde, so Andreas Zick.

Aus der Perspektive der MigrantInnen berichtete dazu Mamad Mohamad von seiner Beratungspraxis: „Die wichtigste Frage für die Leute, die zu uns kommen ist: Wie komme ich möglichst schnell von hier weg?“.

Die Aufzeichnung der Veranstaltung von kulturmd dem Magdeburger Stadtfernsehen mit Kultur:

Es wurde lange und sehr differenziert über die Gründe für die Zustimmung zu menschenfeindlichen Ideologien diskutiert. David betonte, dass die Anwesenheit der NPD im Landtag von Sachsen-Anhalt nicht spurlos an der politischen Kultur des Landes vorüberginge.

Einigkeit herrschte darüber, dass man bei der Ursachenforschung in der Geschichte der DDR ansetzen müsse. So hätten Homogenitätskonzepte in der DDR-Gesellschaft hoch im Kurs gestanden, mit denen sich auch Sehnsüchte nach Autorität verbanden. Noch heute sei in vielen Teilen der ostdeutschen Gesellschaft der Wunsch populär, es möge eine Institution geben, die für die Dinge zuständig sei, sodass man sich nicht selbst kümmern müsse.

Wichtige Arbeit

David Begrich ergänzte, dass gerade jemand wie Björn Höcke „Chopin spielen könne auf der Klaviatur ostdeutscher Identitätsbedürfnisse.“ Es sei immer einfacher einen Sündenbock zu finden, als sich selbst mit eigenen Problemen (möglicherweise nicht vorhandenen) auseinanderzusetzen, unterstrich zudem Gewaltforscher Andreas Zick. 

taz-Inlandskorrespondentin Sabine am Orde wollte schließlich wissen, wie Lösungen dieser Probleme aussehen könnten. Das Podium lieferte zahlreiche Vorschläge, David Begrich sprach sich dafür aus, diejenigen, die sich für geflüchtete Menschen engagieren, zu unterstützen und zu stärken. „Diejenigen, denen ihr Auto angesteckt wurde, oder die Reifen zerstochen wurden, weil sie sich für Flüchtlinge engagieren, sollten ein Zeichen bekommen: Eure Arbeit ist wichtig und gut.“

Cornelia Habisch appellierte, dass nicht mehr miteinander zu reden das Falscheste sei, was man tun könne. Vielmehr müsse die inhaltliche Auseinandersetzung überall geführt werden.

Einig waren sich alle darin, dass es nicht eine Maßnahme geben kann, sondern dass Politik und Zivilgesellschaft sich gemeinsam darüber im Klaren sein müssen, worum es eigentlich geht: nicht um die Frage, wollen wir Flüchtlinge aufnehmen, sondern um die Frage in welcher Gesellschaft wollen wir gemeinsam leben und wie lässt sich das erfolgreich realisieren.

BERIT LUSEBRINK, taz Genossenschaft