Linker Feminismus: Wem gehören die Küchen?

Bei der MarxFem-Konferenz in Warschau diskutierten Teilnehmerinnen über Feminismus und dessen materielle Basis. Wie arbeiten wir und wie sorgen wir?

Eine Menschenmasse trägt einen männlichen Torso, auf den ein Blitz gemalt ist

Protest im Januar 2021 in Krakau gegen das faktische Abtreibungsverbot in Polen Foto: Filip Radwanski/ZUMA/imago

Ausgerechnet in Warschau trafen sich vergangenes Wochenende hunderte feministische Akademikerinnen und Aktivistinnen aus der ganzen Welt zur 5. MarxFem-Konferenz. Polen wurde seit 2015 von der rechtsextremen PiS regiert, die in dieser Zeit das Recht auf Abtreibung abgeschafft und gegen queere Minderheiten gehetzt hat. Doch gerade das hat eine kämpferische und vor allem effektive feministische Bewegung erweckt: Erst im Oktober verlor die PiS ihre Mehrheit.

Eine feministische Konferenz in Polen könnte als Zeichen der Solidarität für polnische Aktivistinnen gelesen werden, aber vielmehr gehe es darum, westlichen Feministinnen an die Positionen osteuropäischer Feministinnen heranführen, sagt die in Warschau lehrende Philosophin Ewa Majewska, Vorsitzende des wissenschaftlichen Komitees der Konferenz.

Oft seien diese unterrepräsentiert. Wenn Positionen aus der Region in politischen oder akademischen Debatten vorkämen, dann meist nur, um Empirie oder historische Erzählungen zu liefern. „Dabei haben wir auch brillante Theoretikerinnen hier!“ Der marxistische Anteil an der Konferenz sei zentral: Ohne fundamentale Begriffe wie Ausbeutung, Entfremdung oder Reproduktionsarbeit könne man keine feministischen Analysen liefern.

Gegründet wurde MarxFem 2015 in Berlin von Frigga Haug vom Institut für Kritische Theorie InkriT. Bei der Eröffnungszeremonie scheiterten die Urgesteine der westdeutschen Linken Haug und ihr Ehemann Wolfgang Fritz Haug im Cameo fast am Zoom-Call. Auch die mäandrierende Rede von Gayatri Spivak, der Grande Dame der postkolonialen Theorie, die doch nie zum versprochenen Punkt über ursprüngliche Akkumulation und Gender kam, lenkte etwas von den sonst ausgezeichneten Beiträgen ab.

Massenbewegung geworden

Das Eröffnungspanel zu Feminismus in Polen demonstrierte die Stärke und Breite der feministischen Bewegung im Land. „Danke, Jarosław Ka­czyńs­ki, dass du für die Mobilisierung von Frauen gesorgt hast“, scherzte Majewska bitter, bevor sie drei Punkte für den Erfolg der Bewegung skizzierte: Der Feminismus in Polen habe aufgehört, nur eine Bewegung von Aktivistinnen und Intellektuellen zu sein, sondern sei zu einer Massenbewegung geworden.

Dazu habe sie das Thema Abtreibung vom liberalen Paradigma der Wahlfreiheit gelöst und die Vorstellung von reproduktiver Gerechtigkeit gestärkt. Auch die Idee politischer Wirkungsmacht habe sich von einer heroischen zu einer alltäglicheren gewandelt, vielleicht einer Art der politischen Betätigung, die auch marginalisierteren Menschen möglich ist, statt sich im Gefühl des ständigen Ausnahmezustands auszuzehren.

Erstarkende Gewerkschaften

Eine Rede von Anna Grodzka, die 2011 bis 2015 im polnischen Parlament saß und damit die erste trans Parlamentarierin Europas wurde, gab ein klares Signal: Der Feminismus dieser Konferenz umfasst auch trans Menschen. Kasia Rakowska von der Basisgewerkschaft Inicjatywa Pra­co­wni­cza (Arbeiter:innen-Initiative), die in Polen zentral daran beteiligt war, Angestellte in Amazon-Lagern gewerkschaftlich zu organisieren, berichtete von der erstarkenden Gewerkschaftsbewegung, die von Frauen getragen wird. So haben 2019 die Leh­re­r:in­nen in ganz Polen mehrere Wochen lang für höhere Löhne gestreikt. Leider erfolglos. Trotzdem zeige 2019, dass sich in einem Land, das von Schocktherapie und Neoliberalismus geprägt ist, Gewerkschaften endlich wieder was trauen.

Obwohl viele Diskussionen um die Themen Lohn- oder Reproduktionsarbeit kreisten, gab es bei der Konferenz seltsamerweise keine Kinderbetreuung. Auch wirkten einige der über 50 Vortragenden nicht gerade verankert im marxistischen Denken. Rosa Luxemburg als Theoretikerin imperialistischer Kriege und gebürtige Polin sowie Sylvia Federici als Vordenkerin der Care-Arbeit sind allgegenwärtig, aber andere Fixpunkte des marxistischen Feminismus wie Clara Zetkin oder Alexandra Kollontai fanden kaum Erwähnung.

„Arbeit, work, rabota“

Manchen Vorträgen schadete die wenig materialistische Basis nicht, etwa der ausgezeichneten Recherche von Agnieszka Graff und Elżbieta Korolczuk über christlich-fundamentalistische Netzwerke. Andere jedoch zeigten, was eine materialistische Analyse leisten kann. Irina Herb von der Uni Jena behandelte die Debatten um Reproduktionsmedizin – Eizellenspenden, künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft – in einem materialistischen Framework und warf so wichtige Fragen auf: Welcher Druck baut sich da auf Frauen auf, ihren Körper wie zu monetarisieren? Wer profitiert davon? Wem gehören die Mittel der Reproduktion, die Küchen?

Die Anthropologin Ursula Probst von der FU Berlin umschiffte bravourös die Klippen des Spaltungsthemas Sexarbeit. Es sei ja gerade in feministischen Kreisen umstritten, ob man von Sexarbeit oder Prostitution spreche. Sie halte sich dran, wie ihre Interviewpartnerinnen über diese Tätigkeit sprächen: „Arbeit, work, rabota“. Doch herrsche die neoliberale Vorstellung eines individuellen Empowerments vor. Debatten zu Sexarbeit müssten dringend in Debatten um Arbeit allgemein integriert werden. „Jede Arbeit, die ich machen könnte, zehrt mich körperlich und geistig aus“, zitiert Probst eine Interviewpartnerin.

Parelleluniversum

Über allem aber schwebte das Thema Krieg. Aus deutschem Kontext kommend, in dem Solidarität mit der israelischen Regierung als Staatsräson auch unter vielen Linken gilt, wirkt der Besuch an einer Versammlung internationaler Linker, als würde man in ein Paralleluniversum treten. Viele trugen demonstrativ das palästinensische Tuch Kufiya, mehrere Panelistinnen referierten ursprünglich angedachte Themen gar nicht, sondern berichteten über ihren Pro-Palästina-Aktivismus. Dabei gäbe es einige materialistische und feministische Analysen, die zu einem besseren Verständnis beitragen könnten, etwa über die Funktion palästinensischer Arbeitskräfte für die israelische Wirtschaft, die in der Selbstdarstellung privilegierter westlicher Akademikerinnen untergehen.

Ein anderer Graben geht mitten durch die Linke weltweit, auch durch die deutsche: Wie über den Krieg in der Ukraine nachdenken? Hier wurden westliche Linke beim Abend-Panel zu Krieg von ihren osteuropäischen Kolleginnen heftig kritisiert. Die ukrainische Soziologin Oksana Dutchak versuchte feministische Positionen zu erörtern und einen Weg zu finden, die Spaltung zu überwinden. Sie beklagte die Lust antiimperialistischer Linker darauf, sich am Westen zu rächen, die auf Kosten der Ukraine ausgelebt werde. An einem Punkt versagte ihre Stimme, und sie weinte. „Ein weiterer Nebeneffekt davon, gerade an politischen Dis­kus­sionen teilzunehmen“, sagte sie, als sie sich gefangen hatte.

Wie an vielen Orten zurzeit zeigte sich auch in Warschau die Schwierigkeit, von Betroffenen zu erwarten, die emo­tio­nale Arbeit zu leisten, klar zu denken und zu sprechen, so dass Unbeteiligte bessere Analysen geliefert bekommen. Vielleicht lassen sich diese Gräben durch mehr Gespräche überbrücken. Vielleicht bei der nächsten MarxFem 2025 in Portugal.

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