Indigenes Kino: Sonnentänze, Kameraattacken

Die neue Berlinale-Sonderreihe „NATIVe“ zeigt nordamerikanische und australische Filme, oft von Indigenen vor und hinter der Kamera.

Still aus „Circle of the Sun“ vom National Board of Canada. Bild: © National Film Board of Canada

Weit hinten in den Programmheften versteckt hat die Berlinale eine neue, vermutlich auf einige wenige Jahre Laufzeit begrenzte Sektion: „NATIVe – A Journey Into Indigenous Cinema“ präsentiert 2013 eine gar nicht einmal kleine Auswahl von Filmen, die von den indigenen Bevölkerungsgruppen Nordamerikas und Australiens berichten. Aus deren eigener Sicht in den meisten Fällen, die grammatische Form ist die erste Person Plural.

Neben einigen kleinen und mittelgroßen Arthaus-Hits aus den letzten Jahren – zum Beispiel dem Eröffnungsfilm „Atarnajuat – Die Legende vom schnellen Läufer“ oder Rolf de Heers „10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen“ – finden sich in der Auswahl eine ganze Reihe echter Entdeckungen, die fünf Jahrzehnte Filmgeschichte umfassen und das Festival um außergewöhnliche Perspektiven erweitern.

Die Frage nach der Perspektive ist bei allen Filmen, die sich mit kultureller Differenz beschäftigen, eine entscheidende. Versuche, vermeintlich unberührte, urwüchsige Lebensweisen gegen den Zugriff einer westlich-zivilisatorischen Invasion ausgerechnet mit einem Film, also im Medium der technisierten Moderne schlechthin, zu verteidigen, können sich schnell in hilflosem Exotizismus verlieren.

Gerade der historische Teil des NATIVe-Programms versammelt hingegen Werke, die derartige Oppositionen unterlaufen, schon weil sie um die Ambivalenz des Kamerablicks wissen; eines Blicks, der Erfahrungsweisen für die Nachwelt zu konservieren vermag, im gleichen Moment aber unweigerlich eine Distanz zur Immanenz des Traditionalismus einzieht.

Ambivalenter Kamerablick

Die Tradition ist fortan nichts mehr, das man leben, sondern nur noch etwas, das man anschauen, konservieren, erinnern kann. Die Frage, wie genau man das machen soll, wie genau man sich heute zu Traditionen und Lebenswelten verhalten kann, die mit der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft der Gegenwart in Konflikt stehen, beantwortet jeder Film auf andere Weise.

Zwei Höhepunkte der Reihe wurden vom auch sonst äußerst verdienstvollen National Film Board of Canada produziert. „Circle of the Sun“, eine halbstündige Dokumentation über die Sonnentanzzeremonie eines Indianerstamms, die einmal jährlich in einem Reservat abgehalten wird, beginnt mit Aufnahmen einer Familie, die in einem roten Ford-Pick-up zu den Festlichkeiten anreist. Heute ist der Film in doppeltem Sinne ein historisches Dokument, spricht nicht nur von indianischer Überlieferung, sondern auch von seinem Produktionsjahr 1961.

Pete Standing Alone

Des Weiteren werden zwei Perspektiven gegeneinandergehalten und vermittelt: Die ethnografische des Außen – die des Dokumentarfilmers Colin Low – und die eines jungen Indigenen, Pete Standing Alone, der ruhig, aber bestimmt einen Großteil des Voice-Over-Kommentars spricht. Diese zweite Perspektive ist, wie man recht schnell merkt, auch keine echte Innenperspektive.

Pete Standing Alone respektiert und bewundert die Traditionen seiner Vorfahren eher, als dass er Teil an ihnen hätte. Besser als mit dem Sonnentanz kennt sich seine Generation mit dem Rodeo-Reiten aus. Der in wunderschönen, warmen Farben fotografierte Film lässt auch diesen Teil der indigenen Erfahrungswelt zu ihrem Recht kommen.

Mindestens genauso außergewöhnlich ist Willie Dunns „The Ballad of Crowfoot“, ein wütender Agitprop-Kurzfilm, durchaus im Stil jenes Dritten Kinos, das in den sechziger und siebziger Jahren weniger das kanadische als das postkoloniale südamerikanische und afrikanische Filmschaffen prägte.

Dunn, Sohn einer indianischen Mutter und eines schottischen Vaters, ist vor allem als linker Folksänger bekannt. „The Ballad of Crowfoot“ ist die filmische Adaption eines seiner bekanntesten Lieder, einer Hommage an einen berühmten Häuptling aus den Zeiten der Indianerkriege: „Crowfoot, Crowfoot, why the tears? / You’ve been a brave man, for so many years“. Diese „vielen Jahre“ beziehen sich nicht nur auf Crowfoots tatsächliche Lebenszeit, sondern schlagen einen Bogen in die Gegenwart.

Aufruf zum Kampf

Aus dem Trauergesang wird ein – weiterhin melancholisch grundierter – Aufruf zum Kampf gegen die inzwischen weniger militärische als ökonomische Unterdrückung der eingeborenen Bevölkerung. Zur Musik montiert Dunn hauptsächlich stillgestelltes fotografisches, nur in einigen, dramaturgisch zentralen Momenten auch bewegtes Material: dokumentarische Bilder des indianischen Lebens im 19. Jahrhundert.

Die sind ursprünglich vermutlich in einem kolonialistischen Kontext und gemäß der Klischees vom edlen, aber dem Untergang geweihten Wilden entstanden. e Dunns Film gibt sie nun den Nachfahren der Porträtierten zurück und formt aus ihnen einen Aufruf zum Kampf, zur Selbstermächtigung.

Eine andere Gerechtigkeit

Einen weiteren Programmschwerpunkt bilden einige Filme des australischen Regisseurs Warwick Thornton, der 2009 mit seinem ersten Spielfilm, einer Samson-and-Delilah-Adaption, auf sich aufmerksam machte. Sein formal außergewöhnlicher, in kontrastreichen, überaus kontrollierten Schwarz-Weiß-Bildern sich entfaltender früher Kurzfilm „Payback“ (1996) entwickelt in gerade einmal acht Minuten eine komplexe allegorische Erzählung um einen Häftling, der es nach seiner Entlassung mit einer anderen, indigenen Gerechtigkeit zu tun bekommt.

Kaum hat er die Gefängnismauern verlassen, wird er von traditionell gekleideten Aborigines umkreist – gleichzeitig aber auch von Fernsehkameras, die das Spektakel der primitive justice mitfilmen wollen. Gar nicht leicht zu entscheiden ist, welche der beiden Attacken ihn am Ende zur Strecke bringt.

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