Bayer Leverkusens Erfolgswelle: Mit Wirtz und Herz

Ein genialischer Jungspund führt Bayer ins Halbfinale des DFB-Pokals. Es war die ideale emotionale Vorbereitung auf den Ligagipfel gegen die Bayern.

Drei Leverkusener Spieler posieren nach dem Schlusspfiff für ein Selfie

Erinnerungsfoto: Die Leverkusener Jonathan Tah, Amine Adli und Robert Andrich nach dem Sieg gegen Stuttgart Foto: Foto: Marius Becker/dpa

LEVERKUSEN taz | Es war ein merkwürdiger emotionaler Zustand, in dem Xabi Alonso seinen Arbeitstag nach dem nächsten denkwürdigen Sieg seiner Leverkusener Mannschaft beendete. „Gerade bin ich ein bisschen leer“, sagte der Trainer nach dem 3:2-Sieg im Viertelfinale des DFB-Pokals gegen den VfB Stuttgart, dessen Schlusspointe ihn kurz zuvor in Ekstase versetzt hatte.

In seinem Kopf hatte Alonso nach eigener Aussage bereits die Worte für die kurze Ansprache vor der Verlängerung formuliert, als Jonathan Tah in der 90. Minute den Siegtreffer köpfte. Der Trainer war noch lange nach dem Abpfiff erkennbar euphorisiert, „manchmal ist der Kopf wichtiger als die Beine“, sagte er auch mit Blick auf das Duell gegen den FC Bayern am Samstag. „Und jetzt ist der Kopf sehr stark.“ So ist das, wenn Alonso sich leer fühlt: Seine Gedanken sind immer noch klar und analytisch.

Wobei es an diesem prachtvollen Fußballabend weniger um Klarheit und Strategie ging als in den meisten anderen Partien von Bayer Leverkusen. Die Werkself feierte einen Sieg der Emotionen. „Manchmal gewinnen wir mit Kontrolle, mit Struktur und Stabilität“, erläuterte Alonso, aber „heute haben wir mit Herz und Seele gewonnen, es ist sehr wichtig, auch das zu haben.“ Diese emotionale Wucht ist tatsächlich gerade eine prägende Eigenschaft dieses Teams.

„Wir haben heute viele Sachen nicht so gut gemacht“, erklärte Leverkusens Robert Andrich und spielte auf ein paar Fehler im Defensivverbund, vor allem aber auf Ungenauigkeiten im Passspiel an. Demgegenüber steht jedoch der Eindruck, dass hier ein Ensemble echter Champions wächst, das tatsächlich Titel gewinnen könnte. Und dieser Eindruck wirkt tief hinein in den Klub und sein Umfeld.

Ungewohnte Stimmung auf den Rängen

Für gegnerische Anhänger war das Stadion in Leverkusen während der vergangenen Jahrzehnte ein ziemlich angenehmes Auswärtsziel, weil es regelmäßig gelang, lauter zu werden als das Heimpublikum. Das ist jetzt anders. Die Arena hat sich atmosphärisch verändert, die Stimmung ist dichter, intensiver und energiegeladener geworden. Und Erlebnisse wie dieser Sieg im Pokal verstärken das. „Wir haben schon eine Menge Auftrieb, aber so etwas Emotionales, so eine Mentalitätssache, das muss uns noch mehr Auftrieb geben“, sagte Andrich.

Zwei weitere Siege durch Treffer ganz kurz vor dem Abpfiff waren dem Bundesligatabellenführer im Januar bei Augsburg und Leipzig gelungen, jetzt haben sie auch ihrem Heimpublikum diese besonders schöne Sorte Glücksmoment verschafft. Und eine Verlängerung, die vor dem Duell mit dem FC Bayern sehr viel Kraft gekostet hätte, ersparten sie sich so auch. „Natürlich ist das viel besser, wenn wir an den Samstag an das Spiel gegen Bayern denken“, sagte Alonso, dessen Team jetzt endgültig als Favorit auf den Pokalsieg gelten kann.

Dabei muss die Mannschaft weiterhin ohne formstarke Angreifer auskommen. Victor Boniface ist noch bis April verletzt, Patrik Schick fehlt die Form, auch Jonas Hofmann hat nicht seine beste Phase. Und der gegen Stuttgart eingewechselte Neuzugang Borjas Iglesias ist noch kein Faktor im Spiel. Dafür spielte Florian Wirtz wieder einmal brillant. Die Tore schossen Andrich, Adli und Tah, aber das 2:2 und den Siegtreffer bereitete der genialische Jungspund vor.

Details wie das elektrisierte Publikum, wie wachsende Leidenschaft, die Form von Wirtz und diese spezielle Mentalität, die immer wieder Siegtore kurz vor Schluss hervorbringt, sind Zutaten, die eine gewaltige Vorfreude auf das Duell mit den Bayern erzeugen.

Der Stuttgarter Deniz Undav meinte gar, dass in diesem mitreißenden Viertelfinale „die beiden besten Mannschaften der Liga gegeneinander gespielt“ hätten. Die Bundesligatabelle, in der der FC Bayern deutlich vor dem VfB steht, liefert da zwar ein Gegenargument, aber emotional ist Undavs Eindruck nachvollziehbar. Während die ewige Dominanz der Bayern allen bekannt und langweilig geworden ist, wirken Stuttgart und Leverkusen frisch, aufregend, offensiv und hoch attraktiv.

Und bei Leverkusen kommt nun noch etwas hinzu: Nach einer Hinrunde mit wenigen echten Höhepunkten stehen nun das Duell gegen München, ein Pokalhalbfinale sowie K.-o.-Spiele in der Europa League an.

Leverkusen ist zum aufregendsten Fußballstandort dieser Bundesligasaison geworden.

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