Schlechtes Stehvermögen

EISHOCKEY Seit 22 Jahren warten kanadische Teams auf den NHL-Titel. Aber alle fünf Mannschaften, von Vancouver bis Montreal, sind raus aus den Play-offs

AUS EDMONTON JÖRG MICHEL

Am Ende nahm Carey Price die Schuld ganz auf seine Kappe. „Ich habe einfach nicht gut genug gespielt. Ich konnte nicht genügend Tore verhindern“, sagte der Torhüter der Montréal Canadiens nach der 1:4-Niederlage gegen die Tampa Bay Lightning in den Play-offs der nordamerikanischen Profiliga NHL.

Dabei hatte ganz Kanada auf Carey Price gehofft. Schließlich gilt der kanadische Nationaltorhüter als einer der stärksten Goalies der Welt. In der regulären NHL-Saison hatte er die wenigsten Tore kassiert und war als bester Torhüter ausgezeichnet worden. Doch am Dienstag im sechsten Spiel der zweiten Runde konnte selbst Price nichts mehr ausrichten. Mit den Canadiens war das letzte kanadische NHL-Team ausgeschieden. Wieder einmal.

Es ist wie verrückt: Während die kanadischen Eishockey-Cracks um Superstar Sidney Crosby bei der WM nach dem 9:0 Viertelfinalsieg gegen Weißrussland dieser Tage scheinbar unaufhaltsam auf den Titel zusteuern, läuft es für die kanadischen Teams zu Hause in der NHL alles andere als rund. Seit 22 Jahren warten die Kanadier mittlerweile darauf, dass eine heimische Mannschaft den begehrten Stanley Cup zurück ins Mutterland des Eishockeys holt.

1993 war das zuletzt ausgerechnet den Canadiens gelungen. 24 Mal hatte das Team aus Montréal den Titel schon gewonnen, so häufig wie kein anderes in Nordamerika. Entsprechend groß waren die Hoffnungen auch in diesem Jahr, denn die Canadiens hatten eine großartige Vorrunde hingelegt, die sie als zweitbestes Team mit 110 Punkten abgeschlossen hatten. Nach einer guten Mannschaftsleistung in der ersten Play-off-Runde gegen die Ottawa Senators schien der Siegeszug unaufhaltsam.

Wie überhaupt die Play-offs für die Kanadier eigentlich gut begonnen hatten. Fünf der sieben kanadischen Teams hatten sich in diesem Jahr für die Endrunde qualifiziert, so viele wie seit elf Jahren nicht mehr. Neben Montréal schafften auch die Mannschaften aus Vancouver, Ottawa, Calgary und Winnipeg den Sprung unter die besten 16 Teams und viele Kanadier waren nach Jahren der Enttäuschung wie elektrisiert.

Die Einschaltquoten im kanadischen Fernsehen waren entsprechend hoch und lagen um rund ein Drittel höher als letztes Jahr. „Bringt den Cup endlich nach Hause“, hatte die Tageszeitung Globe and Mail aus Toronto gefordert, denn in Kanada haben die NHL-Play-offs einen ungleich höheren Stellenwert als die derzeitige WM in Europa, die bislang eher am Rande wahrgenommen wurde.

Doch dann ging den kanadischen NHL-Teams plötzlich die Luft aus. Bei den Canadiens versagten in der zweiten Play-off-Runde die Offensivkräfte, und auch Carey Price blieb hinter den Erwartungen zurück. Die Calgary Flames, die es neben den Canadiens als einziges Team überhaupt in die zweite Runde geschafft hatten, scheiterten kläglich an den Anaheim Ducks. Nun ist in Kanada die Enttäuschung riesig.

Stanley-Cup-Gewinner aus Kanada drohen zur gefährdeten Art zu werden, lamentierte der Hockeykommentator Wayne Scanlan im Ottawa Citizen. „Eigentlich sollten wir in Kanada das Mekka des Eishockey sein“, beschwerte sich in der National Post Jacques Demers, der Meistertrainer der Canadiens von 1993, jenem Jahr also, in dem das Team den Cup letztmals nach Kanada geholt hatte. Nun aber geht der Titel wie in den letzten 22 Jahren erneut an ein Team in den USA.

Viele Kommentatoren machen die fehlende Reife der kanadischen Teams für das frühe Aus verantwortlich. Die Ottawa Senators stellen das jüngste Team der Liga und gelten als talentiert, ihnen fehlt es aber wie so vielen Mannschaften aus dem Ahorn-Land an Stehvermögen. Die Winnipeg Jets sind voller Energie, aber noch unerfahren. Die Edmonton Oilers, gespickt mit Jungstars, überstanden nicht einmal die Vorrunde.

Doch im Mutterland des Eishockeys will man die Hoffnung nicht aufgeben. Irgendwann werde sich das jugendliche Talent auszahlen, glaubt der ehemalige Montréaler Meistertrainer Demers.

Bis es soweit ist, dürfen die Kanadier wenigstens auf den WM-Titel in Prag hoffen.