Die Nacht, die sich nicht gleicht

Zwei Fotografen zogen los durch die Berliner Nacht. Auf den ersten Blick gleichen sich ihre Bildbände verblüffend. Doch wo es Jürgen Pollak um Repräsentation und den touristischen Blick geht, bleibt Dieter Grube Flaneur

VON HEINRICH DUBEL

Die Art und Weise, wie die Berliner ihre Stadt betrachten, ist kein Verdienst berühmter Baumeister, sondern vielmehr der Art geschuldet, wie der Berliner sich in der Stadt einrichtet, wie er sie mehr oder weniger zärtlich benennt und auf diese Weise Berlin immer wieder Berlin sein lässt. Das passiert häufig zum Unmut solcher Scheinberliner, die gerade diese berlinische Gelassenheit als Provinzialität schmähen und sehnsuchtsvoll nach New York oder London schielen.

Nun sind zwei Berlin-Fotobücher erschienen, die sich äußerlich so stark ähneln, dass man erst annehmen könnte, sie gehörten zur selben Buchreihe. Beide Bücher handeln vom Licht in der nächtlichen Stadt. Beide sind querformatig, sogar die verwendeten Schrifttypen scheinen verwandt, und doch unterscheiden sie sich gewaltig: Dem Blick eines fotografierenden Berliners auf seine Stadt steht die Perspektive eines Fotografen auf ein zu inszenierendes Objekt gegenüber.

Jürgen Pollaks „Berlin – Lichter einer Großstadt“ zeigt neue und alte Bauten der Hauptstadt in seelenloser, klinischer und beinahe sakral überhöhter Stimmung. Die außergewöhnlichen Beleuchtungssituationen werden durch Verwendung digitaler High-Dynamic-Range-Fotografie erzielt, mit der es möglich ist, Kontraste einzufangen, die weder das menschliche Auge noch die gewöhnliche Lichtfilmfotografie zu erfassen in der Lage sind. Pollaks Aufnahmen sind daher von einer starken Farbigkeit geprägt.

Am anderen Ende der technischen Ausstattung bewegt sich Dieter Grube, der mit Kleinbildkamera auf Tageslichtfilm fotografiert hat. Grubes Berlin ist das des nächtlichen Spaziergängers, der dem verborgenen Gefälle der urbanen Troposphäre folgt. Grube ist nächtens durch die Stadt gewandert und hat sich von den Motiven ansprechen lassen. Pollak hat vermutlich eine Liste zu fotografierender Objekte erstellt und dann den jeweils besten Blickpunkt ermittelt. Beide zeigen die Stadt fast menschenleer. Doch wo Pollaks Inszenierung eines sauberen Klischee-Berlins auf Menschen verzichten kann, sind sie in Grubes melancholischen Straßenzügen zwar nicht zu sehen, aber doch zu Hause. Sie schlafen. Man sieht: Diese Stadt ist bewohnt. Die Beleuchtung ist gedämpft, man möchte sagen friedlich.

Fehlen der Abweichung

Grube, als Fotograf Autodidakt, lebt seit über zwanzig Jahren in Berlin. Er hat die Reihe ursprünglich begonnen, um die Bilder als Background-Projektionen bei DJ-Sets seiner Kreuzberger Freunde zu verwenden. Er liebt die Stadt, das sieht man.

Pollak hat in Paris und Berlin studiert und lebt in Stuttgart, über das er bereits das gleiche Buch gemacht hat: „Stuttgart – Lichter einer Großstadt“. Seine Vita weist ihn aus als Global Player der Image Industries, der nebenbei erwähnt, dass er Augenzeuge der Anschläge auf das World Trade Center war. Sein Blick ist der einer seriellen Verkünstlichung, sein handwerkliches Können erzeugt aber keinen ästhetischen Zugewinn. Pollaks Bildern fehlt alles Temporäre, Abweichende, alles, was die Stadt – außer einigen Riesenpostern – lebendig und interessant macht. Selbst ein so mächtiger, wenngleich hässlicher, doch hochpräsenter Bau wie das ehemalige Reichsluftfahrt- und jetzige Finanzministerium verschwindet in der Belanglosigkeit. Von seiner Gewalt bleibt nichts.

Auch bei Grube ist Werbung zu sehen, die einmal – mit dem inzwischen wohl schon historisch zu nennenden Werbeschaukasten eines Chinarestaurants, das mit dem ewig jungenhaften Lächeln des Harald Juhnke wirbt – sogar ins Zentrum des Motivs rückt. Dass schließlich „die Nacht als Dunkelheit“ seit der Elektrifizierung in den Städten nicht mehr existiert, wie von Pollaks Pressetext behauptet, wird von Grubes Bildern widerlegt.

Mit den „Neontigers“ von Peter Bialobrzeski, der asiatische Megastädte bei Nacht fotografiert hat, kann Pollaks Buch nicht mithalten, obwohl man oberflächlich gesehen den Vergleich ziehen mag. Dagegen steht Grubes Arbeit sowohl im Ergebnis als auch nach der Intention in keiner geringeren Tradition als der des fotografierenden Heinrich Zille oder des Pioniers der Stadtfotografie, dem durch Paris schweifenden Eugène Atget. Beide repräsentierten und überhöhten nicht, sondern zeigten die Stadt, in der sie lebten, von der sie geprägt wurden, zu der sie Beziehungen aufnahmen, wie man nur Beziehungen zu einem Ort aufnehmen kann, an dem man lange gelebt hat. Das Foto macht nicht die Kamera, sondern der Fotograf.

Pollak hingegen wirft einen touristischen Blick auf die Stadt. Seine Nähe zu Postkartenmotiven und Berlinbroschüren zeigt auch die Ausstattung: Im Stil eines Touristenführers erläutern dreisprachige Texte (auf Deutsch, Englisch und Italienisch) Name und Geschichte der Architekturen und Orte. Bei Grube finden sich – auf Deutsch und Englisch – literarische Texte zu Berlin: Neben Klassikern von Isherwood, Heine, Zuckmayer und Kracauer auch solche von Zeitgenossen wie Funny van Dannen und Françoise Cactus.

Dieter Grube: „Berlin im Licht der Nacht / Berlin by Night“. Parthas Verlag, 111 Seiten, 24 €ĽJürgen Pollak: „Berlin – Lichter einer Großstadt“. Neuer Kunstverlag, 92 Seiten, 34,90 €