Politischer Tsunami in Malaysia

Bei Parlamentswahlen verliert die Nationale Front ihre Zweidrittelmehrheit. Premierminister Badawi lehnt Rücktritt dennoch ab. Zugelegt hat die Gerechtigkeitspartei von Anwar Ibrahim, der eine heterogene Opposition anführt

BERLIN taz ■ Mit so deutlichen Stimmenverlusten hat in Malaysia niemand gerechnet: Bei den Parlamentswahlen in dem multiethnischen südostasiatischen Land verlor am Samstag die seit der Unabhängigkeit 1957 praktisch unangefochten regierende Nationale Front ihre Zweidrittelmehrheit.

Statt zuletzt 91 Prozent der Sitze kam die von Malaien dominierte multiethnische Koalition nur noch auf 62 Prozent. Würden zahlreiche Wahlregeln und das auf die autoritär regierende Front ausgerichtete politische System sie nicht ohnehin stark bevorzugen, wäre ihr Verlust noch größer gewesen.

Im 222-köpfigen Parlament konnten sich die drei Oppositionsparteien von 19 auf 82 Sitze steigern. Zudem gewann die Opposition auch erstmals die Mehrheit in 5 der 13 Bundesstaaten.

Zwar war mit Stimmenverlusten für die Regierung des seit 2003 amtierenden Premierministers Abdullah Ahmad Badawi gerechnet worden, doch angesichts der unerwartet hohen Verluste sprachen Kommentatoren jetzt von einem „politischen Tsunami“. Neben der psychologischen Wirkung bedeutet das Wahlergebnis vor allem, dass Badawi die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit fehlt.

Premier Badawi, dessen Heimatprovinz Penang erstmals seit 1969 wieder an die Opposition fiel, lehnte am Sonntag Rücktrittsforderungen ab. Für seine Regierungskoalition, in der seine Partei Umno (Vereinte Nationalorganisation der Malaien) dominiert, hatte er 2004 noch das beste Ergebnis aller Zeiten eingefahren. Damals war die Regierung stark von ethnischen Chinesen und Indern unterstützt worden. Sie misstrauten der islamistischen PAS, der stärksten Oppositionspartei. Doch diesmal hatte die PAS ihre islamistische Rhetorik gedämpft und sich als als Alternative zur korruptionsgeplagten Regierung präsentiert.

Mit einer Steigerung von einem Sitz auf 31 Sitze konnte die Gerechtigkeitspartei des früheren Vizepremiers Anwar Ibrahim die deutlichsten Gewinne verbuchen. Anwar, der in der Asienkrise 1997/98 in Ungnade gefallen und in konstruierten Verfahren zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war, durfte wegen der Vorstrafen nicht antreten. Dies war auch der Grund für die Vorverlegung des Wahltermins, denn ab April hätte Anwar zugelassen werden müssen. Jetzt errangen sowohl seine Frau als auch seine Tochter einen Sitz.

Ob der 60-jährige Malaie Anwar die heterogene Opposition aus Chinesen und Indern, demokratisch gesinnten Malaien, traditionellen Muslimen und radikalen Islamisten zusammenhalten kann, ist offen. „Malaysias Politik wird nicht mehr die gleiche sein“, sagte er zum Wahlergebnis. „Es gab einen Schrei nach demokratischer Reform.“

60 Prozent der Bevölkerung sind muslimische Malaien, 25 Prozent ethnische Chinesen und 8 Prozent ethnische Inder. Das politische System bevorzugt die Malaien, wogegen sich in letzter Zeit Widerstand regte. Ende letzten Jahres gingen insbesondere Inder zu tausenden auf die Straße. Die Regierung reagierte mit Härte. Jetzt wurde auch einer der indischen Protestorganisatoren gewählt. Derzeit sitzt er ohne Anklage im Gefängnis.

SVEN HANSEN