Christliche Germanen

Die Ausstattung der Mariendorfer Martin-Luther-Gedächtniskirche verdeutlicht das Ausmaß, in dem sich die „Deutschen Christen“ der nationalsozialistischen Ideologie angenähert hatten

85 Organisationen der Denkmalpflege hat die Landeskirche um Rat angeschrieben

VON HEINRICH DUBEL

Der Vorraum der braun gekachelten Martin-Luther-Gedächtniskirche erinnert an die Ausgestaltung militärischer Weihestätten. Der schmiedeeiserne Leuchter, der hier hängt, hat die Form eines Eisernen Kreuzes, von den Wänden dräuen Gesichtsplastiken Luthers und Hindenburgs. In „gotischer“ Fraktur stehen daneben die ersten zwei Zeilen aus Luthers wohl bekanntestem Lied: „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen.“ Der „Rebell gegen Rom“ tritt hier als „Urzeuge der neuen Zeit“ auf, in der sich auch manche Christen in erster Linie als Germanen verstanden.

Berlin ist voll mit baulichen Hinterlassenschaften aus seiner Zeit als Hauptstadt des Nazireiches. Viele dieser Gebäude und Anlagen sind denkmalgeschützt. Ihr Zeugniswert wird von der Landesdenkmalpflege höher geschätzt als die Gefahr, dass diese Bauten Andachtstätten abgeben könnten für Menschen, die alles toll finden, was aus der „Adolfinischen Periode“ noch steht. Die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf ist ein solcher Ort: eine Nazikirche, wie sie in Deutschland nicht noch mal vorkommt. Geplant wurde sie Ende der 1920er Jahre in einem spätexpressionistischen Stil, der Beginn der Bauarbeiten fiel im Oktober 1933 allerdings schon in die Zeit der jungen Naziherrschaft.

Die antisemitischen „Deutschen Christen“ schwangen sich damals in der Mariendorfer Gemeinde zu Planungshoheiten auf. Unter ihrem Führer, dem Pfarrer Joachim Hossenfelder, hatten die Deutschen Christen schon 1932 die von der preußischen Kirchenleitung nicht beanstandete Forderung aufgestellt, „die Eheschließung zwischen Deutschen und Juden zu verbieten“. Unter dem Einfluss dieser „Sturmtruppen Jesu“ erstellte Kirchenbauamtsleiter Curt Steinberg in Mariendorf eine Innenraumgestaltung, die auf einzigartige Weise die Unterwerfung von zumindest Teilen der Kirche unter die nationalsozialistische Doktrin dokumentiert, oder anders formuliert: das Eindringen von NS-Propaganda in den kirchlichen Raum.

Das Taufbecken der Kirche ziert das Abbild eines SA-Mannes, der demütig seine Kappe in den Händen hält. Das Schnitzwerk der Kanzel zeigt einen muskulösen „heldischen“ Jesus, flankiert von einem stahlbehelmten Wehrmachtssoldaten und einer frommen, „arisch“ aussehenden Familie.

Auch der Jesus am Altarkruzifix ist kein Schmerzensmann. Kraftvoll gespannt sieht er aus, als könne er jeden Moment heruntersteigen. Über allem spannt sich eine Art Triumphbogen, in dem Reihen von aus Terrakottatafeln geformten Symbolen des Nationalsozialismus und der Kirchenlehre zu einem endlosen „Band der Harmonie“ verwoben sind. Bei Kriegsende wurden aus diesem Band lediglich die Hakenkreuze und die Embleme anderer NS-Organisationen entfernt.

Die mit bäuerlichen Stilelementen geschmückte, von direkter NS-Symbolik jedoch freie Orgel hat eine eigene Geschichte. Von Hitler in Auftrag gegeben, wurde sie zur Verkündung der Nürnberger „Rassengesetze“ 1935 erstmals gespielt. Jetzt beherrscht sie die dem Altar gegenüberliegende Seite des Kirchenschiffes. Doch das Problem, das die Martin-Luther-Gedächtniskirche hat, ist nicht nur ihre Geschichte, es ist auch der Geldmangel der örtlichen Gemeinde. Aufgrund baulicher Mängel ist sie nicht mehr verkehrssicher. Längst finden die Gottesdienste der evangelischen Gemeinde in der alten Mariendorfer Dorfkirche statt.

Die Kosten einer Instandsetzung werden auf 2,5 Millionen Euro geschätzt – das kann sich weder die Landeskirche noch die Gemeinde leisten. Jetzt soll die Kirche veräußert oder zumindest einem Investor zur Nutzung überlassen werden, solange dieser mit einem akzeptablen Konzept aufwarten kann.

Doch was ist ein für eine Kirche akzeptables Konzept, mal abgesehen davon, Raum zum Beten und Singen bereitzustellen? „Wir suchen einen Projektentwickler, der sich Gedanken über Finanzierung und Sanierung der Kirche macht“, sagt Isolde Böhm, die Superintendentin des Kirchenkreises. Die Kirchenverwaltung favorisiert ganz allgemein eine „soziale, kulturelle oder bildungsbezogene Nutzung“, was sinnvoll ist: Auf dem knapp 10.000 Quadratmeter großen Grundstück, das ausgeschrieben ist, ist neben der Kirche noch ein Stadtteilzentrum, ein Kinderhaus und ein Jugendzentrum. Außer der denkmalgeschützten Kirche sind sie alle in Betrieb.

Im Zuge des gerade eröffneten Interessenbekundungsverfahrens hat die Landeskirche 85 denkmalpflegerisch tätige Organisationen angeschrieben und diese aufgefordert, sich der Problematik der Martin-Luther-Gedächtniskirche zu widmen. Darunter ist auch der Verein „Denk mal an Berlin“, der unter der Adresse des Stadtmöbelfabrikanten Wall firmiert. Deren Geschäftsführerin Stefanie Peitzmeier sieht in der Kirche „ein besonders interessantes und bedrohtes Denkmal“, dem der Verein im Januar die Ehrung „Denkmal des Monats“ zukommen ließ. Der Verein hat auch eine genaue Vorstellung, wie die Kirche in Zukunft genutzt werden könnte: Ein Forschungs- und Dokumentationszentrum zur deutschen Architekturgeschichte und Sakralbaukunst findet man für die Anlage sehr passend.

Das gemeinnützige „Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart“ hat eine Ausstellung zur Geschichte der Sakralbauten im Nationalsozialismus organisiert. Sie ist bis zum 12. Juli in der „Gedenkstätte deutscher Widerstand“, Stauffenbergstr. 13–14, zu sehen