Jenseits von Eden

Ganz schön hart: „Apples“ heißt der erste Roman des gerade mal 24-jährigen Briten Richard Milward. Bitter, lustig und verdammt wahr erzählt er aus der englischen Provinz

VON WIEBKE POROMBKA

Mit dem Paradies hat das alles herzlich wenig zu tun. Auch wenn sie Eve heißt und er Adam. Und der Apfel, von dem im Romantitel die Rede ist, wird hier auch nicht mehr vom Baum gepflückt, sondern ist das kleine Icon auf den Ecstasypillen, die von Vorstadtdealern vertrieben werden und mit denen die fünfzehnjährige Eve ihre allabendlichen Diskobesuche zum Schillern bringt. Ob das die moderne Metapher für den Baum der Erkenntnis ist, darüber lässt sich natürlich streiten.

Das Romandebüt von Richard Milward, Jahrgang 1984, erzählt von Jugendlichen in der englischen Unterschicht, deren Leben in dem abgewirtschafteten Industriestädtchen Middlesbrough, grob gesagt, aus drei Komponenten besteht: Schule, Saufen, Sex. Zentraler Ort ist das Mädchenklo. Da kann man nicht nur Drogen kaufen, einem süßen Typen einen blasen, sondern auch schnell noch reinkotzen, falls die Mischung mit den Alkopops wieder mal schiefgegangen ist.

Wenn man das Autorenfoto von Milward auf der Innenseite des Umschlags sieht, möchte man „Apples“ am liebsten gleich wieder zuklappen. Er sieht original so dämlich aus wie der Rest dieser sprilligen Indiepop-Jüngelchen, die ihren ganzen Ehrgeiz darauf richten, sich die Haare möglichst stilecht zu einer Beatles-Gedächtnis-Frisur ins Gesicht zu kämmen.

Dass man das dann doch nicht tut, mag mit dem ersten Satz des Romans zu tun haben. Denn der ist genauso bitter, lustig und verdammt wahr, wie der Rest und zeigt, dass man es hier eben nicht nur mit Teenie-Geschichtchen zu tun bekommt: „Wir sind zu McDonald’s den Abend, als Mam Lungenkrebs bekam.“ Das erzählt Eve beim Warming-up für den nächsten Discobesuch, spült das häusliche Elend runter und plappert erst mal munter weiter über Lippenstifte, das goldene „Porno-Top“ der Freundin, mit dem man so super Jungs verarschen und Getränke abstauben kann und so weiter und so weiter. Vielleicht muss man eine veritable Provinzadoleszenz hinter sich haben, um wirklich schätzen zu können, wie grandios Milward die eigenartige Dynamik dieser überschminkten Mädchengangs trifft, die auf ihren Stilettos angetrippelt kommen, ungeheuer zärtlich miteinander sind und sich im nächsten Moment aggressiv anraunzen.

Der schüchterne Adam ist das komplette Gegenteil von Eve und ihren Freundinnen. Ein Einzelgänger, der nie in Clubs geht und zu dessen spektakulärsten Erlebnissen es gehört, sich mit einem alten Pornoheft des Vaters auf dem Dachboden einen runtergeholt zu haben, wofür er am nächsten Tag blau geprügelt in die Schule gehen musste. Klar ist, dass Adam sich in das schöne, blonde Mädchen verliebt. Als dieses dann eines Tages den unscheinbaren Jungen, der in der Klasse ein paar Reihen hinter ihm sitzt, auch mal wahrnimmt, da könnte es fast ein bisschen kitschig werden.

Aber Eve hangelt sich dann doch lieber weiter von Alkopop zu Alkopop, kichert sich durch die Abende und schiebt ein paar Nummern auf dem Discoklo, notfalls mithilfe von ein paar Apples. Es wäre ein Leichtes, zu der sozialromantischen These zu kommen, dass diese oberflächliche Befriedigung nur dazu diene, den Schmerz darunter zu betäuben. Den Schmerz über die kranke Mutter, die bald Blut spuckt und ins Krankenhaus kommt. Oder den Schmerz darüber, dass man sich eben doch nicht für jemand wie Adam entscheidet, der einen vielleicht mit einem Kind im Bauch nicht sitzen lassen würde.

So romantisch ist Milward nicht, was daran liegen mag, dass er selbst aus dem nordenglischen Middlesbrough kommt, wo sein Buch spielt. Und deshalb erzählt er vor allem davon, dass das Leben dort zwar ganz spezifische Härten hat, aber dass man sich mit denen einrichten kann. Dann lässt es sich aushalten und kann zeitweilig auch ziemlich lustig werden. Es muss ja nicht gleich paradiesisch sein.

Vor allem schafft Milward in seinem Roman eines: seine Figuren nie zu denunzieren, sondern, im Gegenteil, ohne viel Aufhebens verständlich zu machen, warum man durchaus mit seinen Freundinnen zu McDonald’s gehen kann, nachdem die Mutter gerade ihre Lungenkrebsdiagnose mitgeteilt hat. Auch der grausamste Moment im Roman bekommt auf diese Weise seine Folgerichtigkeit: als Eves Freundin Claire im eiskalten Schneesturm ihr Neugeborenes, das in den Nächten neben ihrem Bett schreit und sie nicht mehr zur Schule und Disco gehen lässt, in einem unbeobachteten Moment in den Fluss fallen lässt, sich umdreht und nach Hause geht. Es wird niemanden geben, der dem Baby nachtrauert. Sein Vater weiß nicht mal, dass eines seiner Partyabenteuer Folgen gehabt hat.

Milward hat übrigens erklärt, dass er nach seinem Londoner Kunststudium nach Middlesbrough zurückkehren will. Für seine Frisur könnte er da hin und wieder eins auf die Nase kriegen. Aber wenn das dazu beiträgt, dass er Stoff für einen weiteren Roman zusammenträgt, dann sollte er das in Kauf nehmen. Obwohl man befürchten muss, dass im Grunde so ziemlich das meiste gesagt ist über das Leben dort. Auch Eve ist am Ende schwanger. Noch ist sie guter Hoffnung. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich das schnell ändern kann.

Richard Milward: „Apples“. Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Blumenbar Verlag, München 2008, 253 Seiten, 17,90 Euro