Wenn das Großwerden schmerzt

Die taz nord-Saisonvorschau: Noch vor ein paar Jahren fast im Abstiegssumpf erstickt, hat Trainer Felix Magath den VfL Wolfsburg in kürzester Zeit bis nach Europa geführt. Und das soll nur der Anfang gewesen sein

Allein die Gerüchteküche ist aufschlussreich: Da brodeln Namen wie Saviola, Di Natale oder Lincoln. Weltrufkicker. Und Felix Magath muss sich nicht einmal vor Lachen den Bauch halten, wenn die Wolfsburger Journalisten ihm solche Namen auf den Tisch spuckt. Er setzt dann einfach diesen Blick auf, der sagt: Vielleicht. Mal sehen. Dann ruft der Trainer des VfL Wolfsburg bei VW-Professor Winterkorn an und fragt nach, was finanziell noch machbar ist.

Im vergangenen Sommer hat in Wolfsburg eine neue Zeitrechnung begonnen. Magath hat nur ein Jahr gebraucht, um diesen Verein völlig umzukrempeln. Er hat die gräuliche Patina der niedersächsischen Provinz kostspielig abgeklopft und sich seinen ganz eigenen Spitzenklub modelliert. Und dabei mit der direkten Qualifikation für den Uefa-Pokal sogar den eigenen Zeitplan übererfüllt.

Vor seiner zweiten Wolfsburger Saison will Magath nun offenbar auch das Umfeld europareif pimpen: Er drängt die Wolfsburger, sich endlich zu ihrem VfL zu bekennen und zum Erfolg. Die Stadt und die Menschen darin scheinen aber noch nicht so weit. Kein Wunder: Unter Magath ist der VfL in Rekordzeit gewachsen, hat sich unerwartet radikal verändert. Und das wenig erfolgsverwöhnte Drumherum muss mit dieser Entwicklung Schritt halten. Wolfsburg und die Wolfsburger leiden an Wachstumsschmerzen.

Und Magath ist ungeduldig: „Ich will mit Wolfsburg Meister werden“, sagte der 55-Jährige. Und jeder, der Magath kennt, weiß: Dieser fast schon manisch progressive, von Ehrgeiz getriebene Trainer denkt nicht in Zeiträumen von zehn Jahren. In zehn Jahren, das zeigen andere Aussagen, dürfte Magath längst woanders sein.

Nein, der Trainer Magath will den Titel mit dem VfL so schnell wie möglich. Entsprechend großzügig durfte der Manager Magath die Wintzerkorn’sche Kreditkarte belasten: Mehr als 25 Millionen Euro hat er für Neuverpflichtungen ausgegeben. Aus Palermo wurden Andrea Barzagli und Cristian Zaccardo geholt, ein Abwehrduo mit Weltmeisterperlglanz auf der Stirn. Auch die beiden Azzuri sind natürlich Teil des großen Magath’schen Plans der weltoffenen Vergrößerung. Sie sollen nicht nur die ohnehin schon starke Abwehr des VfL noch dichter machen – sondern auch ihre etwa 7.000 Landsleute vor Ort ins Stadion locken.

Es ist aber nicht nur die neue, zur Hälfte italienische Viererkette, die dafür sorgen könnte, dass Magaths nervöses Titelzucken schon bald gelindert wird: Sein VfL ist mittlerweile in allen Mannschaftsteilen nicht nur hervorragend besetzt, sondern auch doppelt. Bestes Beispiel für den neuen Wolfsburger Überfluss ist der Transfer von Zvjezdan Misimović. Der Bosnier ist eine klassische Nummer 10, sein Jagdrevier liegt direkt hinter den Spitzen – im Hoheitsgebiet des Teamkollegen Marcelinho. Beide zusammen wird Magath wohl nur im Notfall spielen lassen. Er hat direkte Konkurrenz, aber auch eine kreative Aushilfe für den immer schneller überspielt wirkenden, nicht mehr taufrischen Brasilianer geholt.

Magath schafft bewusst interne Reibungspunkte wie diesen. Der neue Konkurrenzkampf ist gewollt, soll die Mannschaft verbessern. Ein Konzept, das aufgehen könnte. Mit den VW-Neuanschaffungen dürften die Wolfsburger noch stärker sein als in der vergangenen Saison. Und nicht nur der Kicker-Kolumnist Thomas Berthold hält sie für ernsthafte Bayern-Konkurrenz.

Magath jedenfalls wird mit dem neuen, bunten VfL weiter durch die Liga tanzen. Der obligatorische Kater dürfte auch in dieser Saison ausbleiben – und so wird man wohl auch mit provinziellen Wachstumsstreifen leben können. LUCAS VOGELSANG