Leben wie im Kino

Der Film „Open Hearts“ entstand nach den Regeln des Dogma 95. Regisseurin Susanne Bier verzichtete auch auf die typischen Lösungsversuche der Fiktion wie Schicksal oder Happy End

Am Ende ist jeder der Dumme, betrogen irgendwie von den anderen, von sich selbst, vom Leben

von DIRK SCHNEIDER

Heiratsanträge werden klassischerweise am Ende des Films gemacht. Werden sie gleich zu Anfang ausgesprochen, ist die Liebe, oder zumindest die Hochzeit, meist zum Scheitern verurteilt – ganz nach dem alten Muster, dass Filme davon handeln, wie eine Ordnung zerstört und wiederhergestellt wird. Von nichts anderem allerdings handelt das Leben selbst.

Andererseits, was ist das schon, das Leben? Für viele muss es ja aussehen wie Kino, damit es überhaupt die Bezeichnung „Leben“ verdient. Und gelebt hat man per definitionem, wenn man seinen Kopf zum Schnittplatz macht und es als Erinnerung filmgleich komprimiert: erste Liebe, erster Vollsuff, erster Italienurlaub, je nach Gusto und Generation. Wie ein Film, so heißt es ja auch, ziehe das Leben in der Minute des Todes noch einmal am inneren Auge vorbei. Solche Kopffilme dürften dann den Regeln von Dogma 95 entsprechen.

Mit einem Heiratsantrag jedenfalls beginnt Susanne Bier ihren Dogma-Film Open Hearts. Cecilie und Joachim werden als Traumpaar vorgestellt, bis Joachim vor den Augen seiner Verlobten von einem Auto angefahren wird. Querschnittsgelähmt seines Körpers beraubt will er Cecilia nicht mehr sehen. Marie saß am Steuer des Wagens, der Joachim erwischt hat. Zu Hause wird die Schuldfrage thematisiert: Sie ist zu schnell gefahren, aber Joachim hätte aufpassen müssen. Maries Mann Niels ist Arzt im Krankenhaus, in dem Joachim liegt. Aus Mitleid und um seine Frau zu beruhigen kümmert er sich um die wesentlich jüngere Cecilia. Sie verlieben sich. Alles bricht auseinander.

Susanne Bier hat eine Geschichte gewählt, die so oder anders schon tausendmal erzählt wurde. Aber vielleicht kann man sie immer wieder erzählen, weil sie immer wieder erlebt wird und immer wieder die gleiche Ratlosigkeit aufwirft. Susanne Bier gibt jedenfalls nicht vor, Antworten zu haben und verzichtet auch auf die typischen Lösungsversuche der Fiktion wie Schicksal oder Happy End. Joachim wird vom Sympathieträger zum Furcht erregenden Ekelpaket, für die junge Liebe gibt es keine Chance. Cecilia bricht in kürzester Zeit mit ihrem Vorsatz, Joachim treu zu bleiben. Und Niels wird zum feigen Lügner, er betrügt nicht nur seine Frau, sondern auch seine Kinder.

In Niels pubertierender Tochter Stine spiegelt sich noch einmal all die enttäuschte Hoffnung, die das Leben bereithält: Gerade von ihrem Freund verlassen, hat sie ein besonderes Gespür für den Betrug, von dem ihre Mutter bis zuletzt nichts ahnt. Sie deckt die Affäre des Vaters auf und klagt ihn mit fassungsloser Wut an: So geht das nicht, so darf das nicht gehen. Niels ist derselben Meinung und gesteht alles, aber auf ihre Frage, ob er denn bei Mama bleibe, kann er wieder nur mit Schweigen antworten.

Am Ende ist jeder der Dumme, betrogen irgendwie von den anderen, von sich selbst, vom Leben. Der Versuch, eine Ordnung in diesem herzustellen, scheitert. Susanne Bier kommt ohne jeden entlarvenden Gestus aus. Sie erzählt ihre Geschichte, als sei sie das Normalste der Welt. Das ist sie wohl, und manchmal braucht es einen solchen Film, um uns daran zu erinnern.

Preview: heute, 20 Uhr, Abaton; Filmstart 9. Januar