Was du wert bist

„Oh mein Gott, dass wir das noch erleben durften“: In „soylent green ist Menschenfleisch sagt es allen weiter!“ strickt René Pollesch im Prater die allgemeine Rede über Sex und Geld zu immer engmaschigeren und hysterischeren Redundanzen

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Am Anfang badet das Auge in schneeigem Kunstfell. Vier Videoleinwände mit Großaufnahmen kesseln die Zuschauer ein. Die Schauspieler sind irgendwo hinter den Wänden in der vielzimmerigen Bühne von Bert Neumann zugange. Man hört sie flüstern. Und sieht Hände, Schmuck, streicheln, Perücken und stark geschminkte Frauen-Gesichter, den Bauch und die Nase von Volker Spengler, und Münder und Mikrofone in dichtem Kontakt.

Ab und zu ein Stellungswechsel und ein Geldregen: Sehr viel mehr entwickelt sich auf der Bildebene von „soylent green ist Menschenfleisch sagt es allen weiter!“, der neusten Theater- und Videoinstallation von René Pollesch im Prater, nicht. Das Verborgene wird ausgestellt, um die Ökonomie der Verdrängung und die Arbeit des Obszönen auszuhebeln. Über Geld und Sex spricht man im alltäglich funktionierenden Kapitalismus nicht, um ihren reibungslosen Verkehr nicht zu gefährden. Über nichts anderes reden die Pollesch-Figuren, als wären sie geradezu mit der Mission betraut, die Grenzen des Tabus, das innerste (den Sex) und das äußerste (das Geld) des Menschen in einem Wertesystem zusammenzubringen, so oft wie möglich zu kreuzen. Sie hüpfen in ihren Sätzen darauf herum wie beim Gummitwist, bis aus den komplexen analytischen Geweben über Subjektwerdung und Entäußerung lauter kleine Slogans purzeln.

In „soylent green“ werden sie vor allem geflüstert. „Ich wünschte, du wärst wie Geld, denn da würde drauf stehen, was du wert bist.“ – „Dein Bezug zu dir ist Geld, das lässt sich nicht teilen.“ – „Du gehst in die Bank und lässt dich umtauschen, so beschädigt, wie du bist.“ – „Ficken ist das, was mir sagt, wer ich bin in diesem Porno.“ – „Komm bitte in mir drin.“ – „Oh, mein Gott, dass wir das noch erleben durften.“ Die Sätze, in verschiedenen Szenen gehört und mitgeschrieben, lassen sich später scheinbar ohne großen Sinnverlust aneinander reihen. Das ist praktisch und eine gute Dienstleistung an Zuschauern und Kritikern.

Einmal wird ein Kunstschwanz gegrillt über einer Kunstflamme. Wo Kunst aber nicht aus Plastik ist, hat sie bei Pollesch möglichst wenig zu suchen. Kunst und Kultur fallen sozusagen unter das Schamverbot. Kultur und ihre Privilegien sind allen Beteiligten äußerst peinlich. Deshalb äußern die Figuren ihre Freude darüber, sich hier so „unkünstlerisch“ ansprechen zu dürfen. Sie tun das natürlich in einer Stilisierung, die mit Naturalismus etwa so viel zu tun hat, wie ein Döschen Tomatenmark mit einem Gemüsegarten.

Als Karl Marx und Sigmund Freud ihre Theorien entwickelten, funktionierten die Tabus, mit denen Sex und Geld belegt waren, noch auf das Schönste. Im Neoliberalismus von heute aber ist die Rede darüber allgemein geworden. Allein die Stimmung der Hysterie unterscheidet sie noch von der Rede über andere Gegenstände. Dies immer weiter auszureizen, führte schon in „Sex“, einer Pollesch-Produktion von 2002, zu engmaschigen Redundanzen. Irgendetwas schrumpft und schrumpelt da gewaltig vor sich hin, nicht nur die sexuelle Lust. Die Sprache ist eingekocht, der Tunnelblick saugt sich fest am pornographischen Setting.

Die Figuren selbst beklagen sich schließlich über die Langeweile und bleiben in ihren Sätzen hängen wie ein Tonband, dem langsam die Batterien ausgehen. Einen Ausweg aus diesem Leerlauf scheint am Ende allein der Tod zu bieten. Eine Sterbeszene auf der großen Treppe des Saals, live und ohne Videoübertragung, liefert ein großartiges Finale. Denn erstens überbietet das Zusehen beim Sterben noch die Obszönität des pornographischen Genres. Zweitens aber wird ja nicht tatsächlich gestorben, nicht einmal sterben gespielt, sondern wieder nur in äußerst stilisierter Form das Spielen behauptet – da ist Pollesch zugleich viel mehr und viel weniger als Theater.

Drittens, man glaubt es kaum, ist man plötzlich wirklich ergriffen von einer Sehnsucht nach dem Metaphysischen, von einem Ausstieg aus diesen rechenbaren Größen Sex und Geld. Pollesch ist Kult und Kult darf redundant und kryptisch sein. Der Titel „soylent green ist Menschenfleisch sagt es allen weiter“ zitiert ein B-Picture mit Edward G. Robinson und Charlton Heston, das kein Schwein kennt. Aber in der abstrusen Geschichte, wie sie der Programmzettel erzählt, wird die zynische Überführung des Menschen in seinen Marktwert vorweggenommen. Dort wird aus den Toten nämlich etwas gewonnen, was sowohl als Nahrungs- wie als Zahlungsmittel zirkuliert. Der Abspann des Films läuft am Ende verlangsamt im Hintergrund und schafft visuelle Erleichterung. Denn endlich kommt man aus der Nahaufnahme in die Totale und atmet durch.

Am 12., 13., 14. und 20. 1. im Prater, Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg