STREIK-ENDE IN VENEZUELA: CHÁVEZ HAT DURCHGEHALTEN, NICHT GESIEGT
: Die Bourgeoisie räumt die Barrikaden

Hugo Chávez ist zäh. Einen Putsch hat der Präsident Venezuelas im April vergangenen Jahres schon überstanden. Und jetzt auch einen Generalstreik. Als am Wochenende seine Gegner nach 62 Streiktagen aufgaben, hatte er Grund zum Feiern: Obwohl die Ölproduktion des Landes zeitweise fast komplett still stand, obwohl es im ganzen Land wegen des Streiks an Lebensmitteln fehlte, obwohl jedes Wochenende tausende gegen ihn auf die Straßen gingen – Chávez ist noch immer Präsident.

Der Streik hat Venezuela wirtschaftlich an den Rand des Ruins getrieben und politisch ins Chaos gestürzt. Chávez’ Gegnern war jedes Mittel recht, den demokratisch gewählten Präsidenten zu stürzen. Aber ihr Aufstand brach in sich zusammen, weil ihm eine breite Basis fehlte. Denn der Streik war kaum mehr als ein Aufstand der Privilegierten. Ehemalige Ölmanager, Funktionäre des Unternehmerverbandes und antikommunistische Gewerkschafter führten die Chávez-Gegner an, die sich dann mit Videokameras beim Demonstrieren filmten – Bourgeoisie auf Barrikaden. Seine Gegner misstrauen Chávez, weil er eine derbe Sprache spricht, weil er keine Manieren hat und weil er ein Großmaul ist. Ihr Protest richtet sich weniger gegen das, was Chávez in der Regierung getan hat. Es ist vielmehr die Angst vor dem, was noch kommen könnte – gerne schockte Chávez mit Anspielungen, dass ihn das Recht auf Privateigentum wenig interessiere.

Klar ist: Chávez ist ein schlechter Politiker. Seit er im Amt ist, setzt er auf Konfrontation statt auf Kooperation. Darin ist er noch immer ganz der Oberstleutnant der Fallschirmspringer, der 1992 selbst versuchte, mit dem Gewehr in der Hand den damaligen Präsidenten Carlos Andrés Pérez aus dem Amt zu jagen. Für Chávez ist die Politik ein Schlachtfeld, er kennt nur Freund oder Feind, Sieg oder Niederlage. Kein Wunder, dass er am Sonntag in seiner Radioshow das Ende des Streiks wie ein Feldherr seinen Sieg feierte. Aber hier irrt er: Er hat nicht gesiegt. Er hat nur durchgehalten. Und deshalb ist zu befürchten, dass die vergangenen 62 Streiktage nicht der letzte Versuch waren, ihn zum Auszug aus dem Präsidentenpalast zu bewegen.

INGO MALCHER