Per Mertesacker, kriselnder Abwehrchef
: Der Orientierungslose

Drei Minuten vor dem Ende war er wieder da. Urplötzlich. Der andere Mertesacker: Bis dahin hatte der Bremer sich weitestgehend schadlos gehalten im Kampf gegen das Offensivspiel der Russen. Doch dann zog es ihm die Beine weg. Mertesacker rutschte aus. Und nur der Pfosten bewahrte die deutsche Nationalmannschaft vor dem späten Ausgleich.

Es war eine typische Szene für die aktuelle Verfassung des 24-Jährigen. Mertesacker flippert seit Wochen zwischen überlegener Abwehrchef-Choreografie und unerklärlicher Orientierungslosigkeit. Der Fall von Dortmund erinnerte dann auch an seinen letzten Bundesligaauftritt gegen Hoffenheim, der gezeigt hatte, dass sich längst etwas verändert hat in seinem Spiel: War es früher ein Ereignis von Seltenheitswert, wenn der Bremer eine gelbe Karte sah, zog er gegen Hoffenheim gleich zweimal die Notbremse. Ging er beim ersten Mal noch eher zaghaft vor, holte er Vedad Ibišević später mit der Grobschlächtigkeit eines Holzfällers von den Beinen.

Irgendwann in den letzten Monaten ist dem einstigen Fairnessjünger die Souveränität abhanden gekommen. Die Gründe dafür sind simpel und liegen in seiner Krankenakte. Mertesacker hat im vergangenen halben Jahr mehr Zeit in der Reha als auf dem Platz verbracht. Vor der EM hatte er sich einen Meniskuseinriss im rechten Knie zugezogen. Er wurde rechtzeitig zu Turnierbeginn fit, konnte jedoch nicht an die Form der Hinrunde anknüpfen.

Kurz vor Saisonbeginn dann der nächste Rückschlag. Wieder das Knie. Wieder der Meniskus. Mertesacker, der gerade erst aus seinem EM-Urlaub zur Mannschaft gestoßen war, musste erneut operiert werden. So ging er schließlich ohne Vorbereitung in die Saison. Und geriet in eine offensichtliche körperliche Krise. Nach dem Foul an Ibišević sagte er nur: „Wäre ich fit, hätte ich die Szene anders lösen können.“

Aufgrund des Platzverweises darf er in der Bundesliga nun noch zwei Spiele lang zuschauen. Die Bremer hatten gegen das Strafmaß Einspruch eingelegt. Mertesacker selbst hat sich nicht beschwert. Vielleicht, weil auch er weiß, dass diese erzwungene Pause gerade rechtzeitig kommen könnte. LUCAS VOGELSANG

Fotohinweis:PER MERTESACKER, 24, wehrt bei Werder Bremen derzeit unsouverän ab, was er früher mühelos parierte. FOTO: DPA