philipp maußhardt über Klatsch
: Kein Comeback in Ingolstadt

Sybille Rauch war ein Pornostar. Jetzt lebt sie im kalten Wohnwagen am Stadtrand von München

Als ich heute Morgen den Kachelofen neben der Küche anheizte, kam mir Sybille Rauch in den Sinn. Nicht wegen der Hitze, eher wegen der Kälte. Sybille Rauch, für alle, die es nicht wissen sollten, war ein deutscher Pornostar und hat Körbchengröße „75 J“, für was das J steht, weiß ich nicht. „Jesses“ vielleicht oder „jauchzen“. Ob sie bei diesem Wetter friert? Der Wohnwagen am Stadtrand von München, in dem sie lebt, lässt sich schlecht heizen, hat man mir erzählt.

Ich lief nach oben, wo in einer Abstellkammer in einem Ikea-Stahlschrank die Unterlagen für „unerledigte Fälle“ liegen. Die dritte Klarsichthülle von oben war sie auch schon: die „Akte Rauch“. Der letzte Eintrag war noch gar nicht alt, vom 2. Januar diesen Jahres. Da berichtete die Bunte auf drei Seiten über ihr trauriges Dasein als Obdachlose. Ich hatte die Seiten damals herausgerissen, den Rest zum Altpapier geworfen und den Artikel in der Rauch-Akte archiviert.

Ich setzte mich auf die Bank vor dem langsam wärmer werdenden Ofen und las: „Lieber Herr Mausshardt [zwei Ausrufezeichen]. Such noch immer Auftritts-Location. Mutti hab ich auch nicht erreichen können. Geben Sie ihr doch bitte meine Nummer. Hab auch fahrbare Heizung für sie.“ Der Brief trug kein Datum, muss aber wohl im Winter vor sechs Jahren geschrieben worden sein. Oben rechts hatte Sybille einen ausgeschnittenen Teddybären aufgeklebt. Damals hatte ich ihre Mutter in einer Münchner Sozialwohnung besucht und ihr schöne Grüße von Tochter Sybille ausgerichtet. Es ginge ihr wieder gut, sollte ich sagen. Da lag der zweite Selbstmordversuch schon vier Monate zurück.

In München-Haar, dem psychiatrischen Landeskrankenhaus, hatte ich Sybille Rauch kennen gelernt. Sie hatte versucht zu lächeln, als ich auf den Auslöser drückte, damit das Foto nicht ganz so deprimierend wirken sollte. Sie im Bett mit verbundenen Handgelenken. Ihr Arzt Dr. Peter Juhnke war der Sohn von Harald Juhnke. „Er ist so süß“, sagte Sybille. Ich gab ihr für den Exklusivbericht „Pornostar Sybille Rauch nach Selbstmordversuch im Krankenhaus“ ein paar Mark, man ist ja kein Unmensch. Als Gegengeschenk erhielt ich von ihr eine Videocassette, die ich später zusammen mit meiner Frau anschaute. Ihr Gesicht beim Sex sah gar nicht fröhlich aus.

In meinem Handy ist noch die Nummer ihrer „Managerin“ gespeichert. Eigentlich eine ganz nette Frau aus Ungarn, die sogar noch zu ihr hielt, als längst kein Geld mehr mit Sybille Rauch zu machen war. Das machen bis heute andere Leute. Unter ihrem Namen wimmelt es nur so von Pornoseiten im Internet, mein Lieblingstitel heißt: „Im Bett mit Sybille“. Mir fällt dann allerdings immer das psychiatrische Krankenhaus ein. An keinem dieser Streifen verdient der Ex-ex-ex-Pornostar Rauch auch nur eine Mark. Die „Rechte am eigenen Bild“ haben ihr die findigen Produzenten längst abgeluchst.

Wir trafen uns später noch ein paar Mal in einem Münchner Café. Immer erzählte sie dann von ihrem geplanten Comeback, und dass die Sache mit ihrem Busen vielleicht doch wieder in Ordnung kommt. Nach zwölf Operationen war die Haut so dünn geworden, dass das Silikon auszulaufen drohte. „Lieber Herr Mausshardt, hoffe es geht Ihnen gut.“ Wir siezten uns die ganzen Jahre, was mir eigentlich immer ganz fehl am Platze vorkam. Bei einem so öffentlichen Menschen, der einem schließlich alles von sich gezeigt hatte. Diesmal war der Brief oben mit einem kleinen roten Herz versehen. Ich sollte ihr beim Verkauf ihrer Münchner Wohnung helfen („sehr schön gefließtes Bad“). Aber vom Makeln verstand ich nichts, und so wurde nichts daraus. Obwohl sie mir ihr BMW-Cabriolet für ein paar Tage anbot.

Sie brauchte das Geld dringend, weil das Kokain so teuer war. Unser letztes Treffen war im „Prinz Myshkin“, einem Restaurant für Vegetarier. Ihr Comeback stand wieder einmal kurz bevor. Es war, glaube ich, in Ingolstadt, wo sie kurz darauf auf der Bühne zusammenbrach. Sie hatte es auf einer Sexmesse noch einmal als Stripperin versucht, aber die Mischung der Tabletten, die sie vor dem Auftritt schluckte, war nicht gut gewählt. Danach bekam sie keine Engagements mehr und meldete sich auch bei mir nicht mehr. Ich werde sie demnächst in München in ihrem Wohnwagen besuchen. Jetzt muss ich aufhören, Holz nachlegen im Kachelofen.

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