Wasserkrieg um ein Rinnsal

Der Cauvery ist einer der sieben heiligen Flüsse Indiens. Um sein Wasser streiten sich Bundesstaaten, Bauern und die 6,5-Millionen-Stadt Bangalore

aus Bangalore BERNARD IMHASLY

Touristen, die im letzten Herbst von einer Reise in die Nilgiri-Berge nach Bangalore zurückkehrten, standen plötzlich, mitten in Indien, vor Zollschranken. Neben dem einfachen Steinsockel, der die Grenze zwischen den Bundesstaaten Tamil Nadu und Karnataka markiert, waren Schlagbäume errichtet worden – und diese waren geschlossen. Die Reisenden mussten ihr Gepäck durch ein Niemandsland von fünfzig Metern schleppen. Dann ging es mit Bussen weiter.

Während mehrerer Wochen waren die großen Verbindungslinien unterbrochen, und Züge und Straßentransporte mussten über den Drittstaat Andhra Pradesh umgeleitet werden. Drei Monate später ragte die Bambusstange wieder zum Himmel, und der Wildhüter Salomon Daniel fuhr ohne zu bremsen daran vorbei. Dennoch hatte er vorgesorgt. Im Fonds des Jeeps lag ein Reserveset von Nummernschildern von Karnataka, um seine Tamil-Nadu-Kennzeichen auszuwechseln, sollte es in den Ortschaften auf der Fahrt nach Bangalore Demonstrationen geben. Mit seinem Mobiltelefon hielt er sich über die Situation auf dem Laufenden. In diesen drei Monaten wurden keine tamilischen Fernsehprogramme mehr in Karnataka ausgestrahlt, und in Bangalore, der Hauptstadt von Karnataka, zog der Filmsstar Rajkumar an der Spitze eines Demonstrationszugs vor das Regierungsgebäude und rief zum Boykott tamilischer Filme auf. Deren Stars wiederum zogen vor das Neyveli-Kraftwerk in Tamil Nadu und verlangten die Unterbrechung der Stromzufuhr an den Nachbarstaat. Tausende von Tamilen zogen an die Grenze nach Karnataka, wo sie von starken Polizeiverbänden am Übertritt auf Feindesgebiet gehindert werden mussten. Von den zahlreichen Tamilen Bangalores richteten sich viele bei Freunden und Verwandten in Tamil-Quartieren ein, um nicht auf offener Straße angerempelt zu werden.

In Südindien war wieder einmal der „Wasserkrieg“ ausgebrochen, aber noch nie hatte das Rinnsal des Cauvery derart hohe Wellen geworfen. Der 800 Kilometer lange Cauvery ist einer der sieben heiligen Flüsse Indiens und wird wie seine sechs „Schwestern“ als Tempelgöttin verehrt, in Liedern besungen und mit Sagen umwoben. Flüsse werden verehrt, weil sie für die Bauern Fruchtbarkeitsspender sind, und auch der Cauvery tut diesbezüglich seine Pflicht.

Doch mit der Einführung moderner landwirtschaftlicher Methoden hat auch der Durst der Böden und Pflanzen zugenommen. Karnataka baute Staudämme, welche das Bewässerungsgebiet ausweitete. Tamil Nadu folgte. Solange genügend Wasser floss, beschränkten sich die Dispute auf Dürreperioden. Mit der Grünen Revolution und dem wachsenden Durst neuer Reissorten und von „Cash Crops“ wie Zuckerrohr wurde das Flusswasser auch in normalen Jahren immer knapper. Wie in anderen Ländern setzte die Regierung in Delhi „Wassertribunale“ ein, welche jedes Jahr den Anteil jedes Anrainers aufgrund der Niederschlagsmengen festlegte. Doch da diese meist unter dem Bedarf der Bauern lag, kam es immer häufiger zum Streit, der die Beziehungen zwischen den beiden Vorzeigestaaten Indiens zunehmend vergiftete.

Es sind immer wieder die Bauern und ihre politischen Vertreter, die in den lokalen Medien für den wachsenden Wasserverbrauch verantwortlich gemacht werden. Erstaunlicherweise nimmt kaum jemand zur Kenntnis, dass das Wachstum von Städten wie Bangalore zu einem enormen Aderlass des Cauvery geführt hat. Obwohl der Fluss der Stadt nie näher als 75 Kilometer kommt, stammt die gesamte öffentliche Wasserversorgung aus dem Cauvery. Als kürzlich, mitten im „Wasserkrieg“, ein viertes Pumpwerk den Betrieb eröffnete, fand dies in den Zeitungen unkritisches Lob. Dies mag damit zusammenhängen, dass auch die städtische Wasserversorgung den Bedarf längst nicht mehr deckt. In Bangalore hat sich in den letzten zwanzig Jahren die Bevölkerung auf 6.5 Millionen verfünffacht. Für die meisten Bewohner fließt das Wasser nur zweimal pro Woche für zwei Stunden in die Haushaltsleitung.

Einwohner wie der IT-Unternehmer Aditya Menon meinen, dies zeige eben, wie stark die Lobby der Bauernpolitiker sei. Wie die meisten Bewohner der „Gartenstadt“ Indiranagar findet er nichts dabei, wenn er zur Bewässerung seines Vorgartens, für Trinkwasser und die Sanitäranlagen im Hinterhof eine Pumpe installiert, die das Grundwasser anzapft. 85 Prozent des Wasserverbrauchs in den indischen Großstädten, so schätzt die Umweltaktivistin Sunita Narain, wird heute durch private Grundwasserpumpen gedeckt. Damit sinkt der Wasserspiegel, und die Bauern sind wiederum die unmittelbar betroffenen Opfer. Dies gilt zumindest für die große Mehrheit, die sich keine Pumpen leisten können, die das Wasser von einer Tiefe von 150 Metern heraufholt. Reiche Bauern, die zudem das Glück haben, im Umkreis von Bangalore zu leben, haben die Krise als Chance erkannt. Sie sind zu Wasserbauern geworden und haben ihren Traktor für einen Tanklastzug eingetauscht. Statt wie früher Milch zu liefern, pumpen sie Wasser aus ihrem Land und liefern es täglich an private Kunden in der Stadt, für umgerechnet 5 Euro pro 5.000 Liter.