„Von den Schutzengeln beschmunzelt“

Pfarrer Kluge will heute in einem Einkaufswagen nächtigen. Auf dass sich die Berliner der Christen-Touristen erbarmen

taz: Herr Kluge, in Wirklichkeit zwingt die evangelische Kirche Sie zum Einkaufswagen-Liegen und Sie sind ein Opfer der PR-Strategie Ihres Arbeitgebers. Richtig?

Jörg Kluge: Natürlich nicht. Der Kirchentag fordert momentan mit witzigen Plakatmotiven dazu auf, Gratisunterkünfte für Kirchentagsbesucher zu stellen: Mann schläft im Hundekorb, Frau in der Schrankwand. Ich lege mich eben in den Einkaufswagen. Mit dieser Aktion wollen wir und unsere katholische Nachbargemeinde Herz Jesu helfen. Wir werden einen Leierkasten dabeihaben, der das Ganze akustisch unterstützt – mit einem breiten Repertoire von Volksliedern.

Nicht Kirchenliedern?

Das wäre schön. Es hängt natürlich davon ab, was der Leierkasten draufhat.

Welches Einkaufswagenmodell wählen Sie? Sie achten wahrscheinlich auf Komfort.

Es wird ein normaler Supermarktwagen sein, möglichst ohne Kindersitz, breit und stabil. Ich darf zwischendurch aufstehen und die Beine ausschütteln, rechne also nicht mit den vollen 120 Minuten.

Sind Sie Bauch- oder Rückenschläfer?

Seitenschläfer.

Passt ganz gut in einem Einkaufswagen.

Auch wenn ich Sie jetzt enttäusche: Ich werde nicht schlafen, sondern mit den Menschen reden. Wir wollen die Leute hier im Kiez animieren, für einige Nächte Gastgeber zu sein. Ich werde mich vermutlich – gut mit Schlafsack und Decken gepolstert – in die klassische Rückenlage begeben. So, dass die Beine über den Rand baumeln.

Ich stelle mir das gefährlich vor. Ein Einkaufswagen ist eine wacklige Heimstatt, und Sie sind 50 Jahre alt.

Beim Einsteigen muss ihn sicher jemand festhalten. Ich bin aber als Feuerwehr-Notfallseelsorger einiges gewohnt und werden den Wagen mit einer Kette sichern.

Zur Not hilft der Herr, etwa bei Markus 5, 36: „Jesus Christus: Fürchte dich nicht, glaube nur.“

Es gäbe auch mehrere Psalmworte, die man zitieren könnte. Ich denke, meine Übung wird nicht nur von meiner Gemeinde, sondern auch von Schutzengeln wohlwollend beschmunzelt.

Haben Sie beim Aldi um die Ecke Probe gelegen?

Dafür fehlte die Zeit. Manches muss man einfach so angehen.

Welchen Schlafanzug werden Sie tragen?

Sportlich. Wahrscheinlich dunkelblau mit gestreiftem Oberteil, je nachdem, was mir morgens gefällt. Die Nachtmütze sieht aus wie die des Lehrer Lämpel von Wilhelm Busch.

20.000 private Schlafplätze braucht der Ökumenische Kirchentag bis zum 28. Mai, bisher sind es nur 5.000. Schafft die Kirche das noch?

Beim letzten Kirchentag in der Stadt haben die Berliner die Zahl erst im Endspurt erreicht, nach den Osterferien kommt bestimmt noch ein großer Schwung. Außerdem: Ein Viertel von 20.000 ist doch schon gar nicht schlecht. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg …

das klingt jetzt wie ein Fußballtrainer, der über ein Spiel philosophiert. Sehen Sie das Ganze auch sportlich?

Die Frage ist doch, über welche Kanäle kann eine Gemeinde an Menschen herankommen. So erreichen wir auch die, die eben nicht den Gemeindebrief lesen oder in die Kirche kommen.

Was sagt Ihre Frau zu Ihrem Auftritt?

Sie ist dabei. Natürlich wird sie nicht mit mir im Einkaufswagen liegen, wohl aber Handzettel verteilen. INTERVIEW: ULRICH SCHULTE

Pfarrer Jörg Kluge, 50, betreut die Evangelische Kirchengemeinde Alt-Tempelhof. Wer Schlafplätze anbieten möchte, kann ihn heute hellwach zwischen 11 und 13 Uhr vor der Karstadt-Filiale am Tempelhofer Damm, Ecke Kaiserin-Augusta-Straße treffen.