Bilder von und über Schachtelträumer

Die Galerie Eva Poll zeigt äthiopische Schuhputzer in Selbstporträts und aus der Sicht hiesiger Künstler – Bilder ohne das Klischee vom „armen Afrika“

von ANNE HUFFSCHMID

Schuhe, nichts als Schuhe. Tagaus, tagein vor fremden Männern hocken, staubige Gamaschen und Sandalen auf kleinen Holzkistlein schrubben und wienern, bis es glänzt. Ein Traumjob für Halbwüchsige in äthiopischen Städten. Das ist nicht ironisch gemeint: So eine Holzbox hat nicht jeder, erzählt Dawit Schanko, und wer eine hat, besitzt ein kleines Kapital. Der 35-jährige Äthiopier hat selbst mal Schuhe geputzt, vor sehr langer Zeit. Heute lebt er in Berlin, seit vielen Jahren schon, studiert Architektur, arbeitet nebenbei in einer Bar als Cocktailmixer und hat sich einen kleinen Traum erfüllt, „A dream in a box“, wie das Projekt überschrieben ist.

Ein Kunstprojekt soll es nicht sein, bloß nicht, Schanko schüttelt energisch das Haupt. Aber auch keine Spendensammlung gutwilliger und -situierter Kunstfreunde für afrikanische Straßenkinder. Was denn dann? „Nur so eine Idee“, sagt er lächelnd. Das ist pures Understatement. „Listros“ nennt sich das Unternehmen, wie Schuhputzer auf Amharisch: Es geht dabei ums Putzen und Malen, um Schwarzweißfotos aus Äthiopien und bunte Bilder aus Berlin. Was dabei rauskommt, ist ab heute in der Galerie der renommierten Galeristin Eva Poll zu sehen.

Angefangen hat alles vor eineinhalb Jahren, als ein befreundeter Landsmann und Biologe, der wegen seines Faibles für Hühnergene „Dr. Chicken“ genannt wird, davon erzählte, wie er an herumlungernde Jungens in äthiopischen Straßen hölzerne Schachteln mit Wichse, Farben und Bürstchen verteilt. Vom Erlös, so die Absprache mit den frisch gebackenen Listros, soll was gespart werden. Es macht „klick“ bei Schanko, der sich an seine eigene Jugend erinnert. Für das täglich Brot musste er nicht putzen, aber doch für Schulzeug und Krimskrams. Er will mehr wissen, vor allem aber sehen. Über Dr. Chicken werden ein halbes Dutzend Billigkameras unter den Schuhputzern verteilt, mit der Bitte um Fotos von sich und ihrer Arbeitswelt. Siebzehn belichtete Schwarzweißfilme kommen zurück, aus über dreihundert Fotos werden sechzig. Doch was damit anfangen, zudem in deutschen Landen, „wo das Schuhputzen ja eine private Angelegenheit ist“? Ohne Plan im Kopf, aber mit seinen Mappen unterm Arm beginnt Schanko seine Tor durch Berliner Ateliers.

Zu sehen sind mal frech, mal verlegen dreinblickende junge Männer, einige gebückt in die Arbeit vertieft, andere aufrecht und hoheitsvoll posierend, wieder andere breit in die Kamera grinsend. Die Aufnahmen zeigen etwas, was außerhalb der imaginären Schablone „Armut in Afrika“ liegt: das Schuheputzen nicht als demütigender Dienst am Herrenmenschen, zumal die Kunden gar nicht weißer oder reicher zu sein scheinen. Gerahmt sind die Listros von städtischem Drumherum, keine Slums, eher Plätze, hier und da ein paar verwehte Palmen.

Welche Assoziationen wecken diese Bilder und Blicke in hiesigen Künstlern? Können Maler dazu beitragen, etwas von dem zu „übersetzen“, was die Fotos aus der Ferne erzählen? Das war Schankos Frage. Immer wieder berichtet er von den Schachtelträumern, zeigt die Fotos und überredet einen nach dem anderen – ohne einen Cent zu versprechen oder zu verdienen. Die Reaktionen schwanken zwischen Befremdung und Begeisterung. Die erste Zusage stammt von Elwira-Sofia Schott, die monatelang an der kompliziert gerasterten Pixel-Verfremdung eines Listro-Stilllebens in Gelbschwarz arbeitet, von Michele Costi folgt ein Märchenbild eines kleines schwarzen Jungen mit gestiefeltem weißem Vogel.

Eines Abends fasst Schanko sich ein Herz und spricht Eva Poll an, die er vom Sehen kennt. Ursprünglich nur mit der Bitte um Beratung. Frau Poll hört zu, macht Mut und bietet schließlich sogar, „wenn es Ihnen recht ist“, für eine Woche ihre Räume an. Weitere Künstler kommen dazu, darunter Reinhard Stangl und Peter Herrmann, auch Rainer Hess, der seit 15 Jahren einen Ruf als Schuhfetischist genießt („Schuhe sind die Einzigen, die immer auf dem Boden bleiben“), spendiert eines seiner Bilder. Einer der Letzten an Bord ist Jim Avignon, der zwar lange nicht aufzufinden war, aber dafür dann im Handumdrehen zusagte: sein Schuhputzer hat knallblaue Augen, trägt Dreitagebart und raucht Pfeife.

Der Brückenschlag zwischen äthiopischen Straßen und Berliner Wänden schien möglich, doch wie den Kreis wieder schließen? Nun gesellten sich architektonische Pläne zu den Bildern, und zwar für Pavillons, gedacht als Treffpunkt und Arbeitsplatz für die wandernden Schuhputzer, zum Arbeiten und Ausruhen im Schatten, möglichst auf Augenhöhe mit ihren Kunden. Der Architekturprofessor Yadegar Asisi fängt Feuer und hilft, unter Berliner Kollegen für die Idee zu werben und einen Wettbewerb auszuschreiben. Erste Entwürfe liegen vor, etwa vom Büro De Vos & Stegschuster, die ein raffiniertes Listro-Mobil mit aufklappbaren Wänden entworfen haben. Auch Axel Schultes, den Schanko eines schönen Tages im Fahrstuhl anspricht, steuert Pläne für eine Art überschattetes kleines Amphitheater bei, auf deren Treppen geputzt und palavert werden kann.

Gesponsert werden sollen die Pavillons vor allem von arrivierten äthiopischen Exschuhputzern, die heute besser verdienende Hotelbesitzer oder Musiker sind. Äthiopien bleibt der Fluchtpunkt des Projekts: Von Berlin aus soll die Ausstellung weiter wandern, nächste Station ist vermutlich Dresden, später dann bis zum Nationalmuseum in Addis Abeba.

„Das Thema ist Würde“, sagt Schanko noch. Das hört sich aus seinem Munde eher unpathetisch an. Die unsichtbaren Kids, die sich Tag für Tag über staubige Schuhe beugen, sollen für ihre Umgebung unübersehbar werden, in ihrem Ehrgeiz und ihrer Zähigkeit. So geht es letztlich um das „Ehren“ von Arbeit, hier wie da, um ihren Sinn und den Respekt davor. Ob beim Schuheputzen, Bildermalen oder Häuserbauen. Oder auch, so ließe sich der Kreis dann wirklich schließen, beim Cocktailsmixen.

„A dream in a box“ – Eröffnung heute um 18.30 Uhr in der Galerie Eva Poll (Lützowplatz 7); ab 20 Uhr Boot Polish Party im Loft im Metropol, mit dem Jazz-Quartett von Yamil Borges and Friends; ab 23 Uhr macht DJ Leslie Nachmann (Jazzradio) Musik; die ganze Nacht gibt es äthiopische Kaffeezeremonien und kulinarische Spezialitäten. Der Erlös kommt dem Pavillon-Projekt zugute. www.listros.de