Holzauge, sei auch zu Hause wachsam!

Wohngifte werden oft zu spät erkannt. Neben Formaldehyd und PCP sind auch unbekanntere Lösemittel schädlich

BERLIN taz ■ Die erste Symptomatik klingt wie Allerweltsbeschwerden: Kopfweh, Atemnot, Übelkeit, gereizte Schleimhäute. Die Ursache muss keine Grippe sein. Auch Segnungen der Industrie können derlei verursachen. Und das in den eigenen vier Wänden: Trotz allgemein zunehmender Vorsichtsmaßnahmen sind Wohngifte noch immer eine schleichende Gefahr.

Allein die Lösemittel, die aus Hölzern, Lacken und Klebstoffen in die Luft entfliehen, sind veritable Krankmacher: Nicht ohne Grund testen die Spezialisten der Stiftung Warentest bei ihrem Luftanalysen-Service routinemäßig die Proben auf über 60 verschiedene Substanzen. Die dabei erfassten Konzentrationen flüchtiger Kohlenwasserstoffe können, wenn sie hoch sind, zu Allergien führen, zu Leber- und Nierenschädigungen und zu Krebs. Ausschlaggebend ist die Anfälligkeit des Einzelnen: Was der eine noch locker verkraftet, kann seinen Nächsten bereits arbeitsunfähig machen.

Die Verhütung etwaiger Schäden beginnt bei der Planung. Britta Barlage von der Warentest-Zeitschrift Test etwa empfiehlt, sich beim Einkauf an Gütesiegel wie das vom TÜV, ans EU-Umweltzeichen oder den „Blauen Engel“ zu halten. Und auch, wenn Teppichverleger schon von Berufs wegen gern Vollverklebungen durchführen – sicherer ist es, Teppichböden nur am Rand zu befestigen, mit Klebeband. Die totale Verkleisterung kann nämlich teuer werden: Jedes Jahr werden neue Klebstoffe abgemischt, deren Verträglichkeit nicht immer ausreichend bekannt ist.

Was nicht bedeutet, früher sei alles besser gewesen. Im Gegenteil: Bei etlichen Substanzen stellte sich erst Jahre nach ihrer Blütezeit heraus, wie ungesund sie sind. So beim Holzschutzmittel-Wirkstoff PCP (Pentachlorphenol), welches das Immunsystem schädigt, und auch bei den 209 bekannten PCB (polychlorierte Biphenyle). Sie wurden vor allem in den 70er-Jahren zum Abdichten und Parkettkleben verwendet – und verursachten Krebs. PCP wie auch PCB wurden erst 1989 in Deutschland verboten – nachdem zigtausende geschädigt wurden (siehe Kasten).

„Je früher eine Schadstoffquelle erkannt wird, desto besser“, so Test-Autorin Barlage. Denn oft bemerken Patienten und Ärzte zu spät, wo die Ursache einer scheinbar banalen oder zumindest rätselhaften Erkrankung liegt. Wenn Stoffe wie Benzol – ein aromatischer Kohlenwasserstoff – oder n-Heptan – ein aliphatischer Kohlenwasserstoff – das Blutbild verändern, Leukämie erzeugen oder das Nervensystem ruinieren, ist es zu spät. Die Rechtslage indes verlangt Nachweise und Gutachten, bevor auf eine Entschädigung oder eine neue, vom Vermieter zu stellende Wohnung gehofft werden kann. Weshalb Betroffene rechtzeitig einen Umweltmediziner zu Rate ziehen sollten.

Aber es gibt auch gute Neuigkeiten: Bei Wandfarben jüngeren Herstellungsdatums werden kaum noch Lösemittel in gefährlichen Konzentrationen gemessen. Und schon lange schließt der schwedische Möbel-Riese Ikea (nach einem Formaldehyd-Skandal) etwaige Gefährdungen aus.

Beim Holzeinkauf bietet das RAL-Gütesiegel die beste Orientierung. „Gefährlich ist aber das schwarz-weiße Denkschema, sämtliche Naturstoffe seien unbedenklich“, warnt Hans-Peter Brix, Umweltkoordinator bei der Stiftung Warentest.

Von Duftölen und -lämpchen etwa, die ätherische Öle in extrem hohen Konzentrationen freisetzen, rät er dringend ab. Naturholz kann Terpene (Terpenkohlenwasserstoffe) ausgasen. Brix kennt den Fall einer „Naturvollholz-Einbauküche“, deren ausdünstendes delta-3-Caren zu so massivem Juckreiz und Ekzem-Befall der Hausfrau führte, dass die neue Küche wieder ausgebaut wurde.

Vorsorge können Verbraucher treffen, wenn sie stark riechende Möbel monieren und von ihrem Reklamationsrecht Gebrauch machen. Gegen den Verdacht auf ein Übermaß an Formaldehyd suchen sich zwar Hersteller mit „Prüfberichten“ zu schützen. Aber in Bezug auf die Schädlichkeit von aromatischen, aliphatischen und Terpenkohlenwasserstoffen ist ihr Bewusstsein meist noch mangelhaft.

Fabrikneue Möbel sollten gut gelüftet werden, meint Britta Barlage: Dreimal täglich sollte im Winter für fünf Minuten „quer“ gelüftet werden, im Sommer doppelt so lang. Auch Tabakrauch enthält übrigens Lösemittel wie Benzol: Hier ist die Aussicht auf Entschädigung aber zumindest in Deutschland gänzlich utopisch. GISELA SONNENBURG

Luftanalysen kosten bei der Stiftung Warentest 108 Euro. Dort gibt es auch den Ratgeber „Wohnen ohne Gift“ (9,20 Euro)