Die Aldisierung Hollands

Die Niederländer haben von Aldi gelernt: Es reicht nicht, billig zu sein – man muss auch billig wirken. Der Aldi-Style greift um sich. Immerhin macht man aus Aldi kein Hobby wie die Deutschen

VON ULRIKE HERRMANN

Viele Niederländer gehen nicht mehr nur einkaufen, nein, sie suchen extra „deutsche Zustände“ auf. Typisch Nachbar ist es für die Niederländer immer dann, wenn das Neonlicht gleißt, die Wände kahl sind, die Waren auf Paletten stehen und sich die Käufer gierig nach dem Dosenfutter bücken. Deutsche Zustände sind hässlich – aber unwiderstehlich. Aldi eben.

Inzwischen haben Aldi und Aldi-Varianten wie Lidl in den Niederlanden einen Marktanteil von über 20 Prozent erobert und diese Aldisering ist fast täglich eine Nachricht wert. Jüngst wurde halb geekelt, halb fasziniert berichtet, dass nun auch die heimischen Supermarktketten „Super De Boer“ und „Konmar“ den Charme der Palette entdecken. Und zwar ausgerechnet für Molkereiprodukte! Dass es „demnächst Milch aus Dosen“ geben soll, ist wohl kalkuliert.

Eine solche Botschaft muss einfach auffallen in einem Land, wo auch Erwachsene mittags stets ein Glas Buttermilch trinken und wo Käsespezialgeschäfte so organisiert sind wie eine deutsche Behörde: Wer keinen Nummernzettel aus einem Automaten gezogen hat, der wird freundlich darauf hingewiesen, dass er eigentlich eine Nummer bräuchte, um bedient zu werden.

In dieser gemütlichen Servicewelt verstört es, wenn plötzlich auch niederländische Supermärkte „eine Palettenausstrahlung“ wie Aldi anstreben. Dafür werden die Regale extra umgebaut, statt sechs Brettern sind es demnächst noch fünf, damit ganz unten die Dosenkisten hineinpassen. „Das schafft ein niedrigpreisiges Aussehen“, befanden Supermarktanalysten.

Die Niederländer haben von Aldi gelernt: Auch kahle Wände sind Design.

Es reicht nicht, billig zu sein – vor allem muss man billig wirken. Man darf den Kunden nicht verwirren. Günstige Angebote in hübscher Umgebung: Wie das möglich sein soll, verstehen Käufer nicht. Also werden sie misstrauisch, und das ist schlecht fürs Geschäft. Da lohnt es sich, in Hässlichkeit zu investieren.

Auch ist es kein Zufall, dass die neue Dosenmilch unten im Regal steht. Was billig ist, muss nämlich Arbeit machen für den Kunden. Nur Bückware kann wirklich gut sein, davon sind Käufer fest überzeugt. Billig und bequem – das ist doch das Prinzip Grabbeltisch, der stets die angenehme Hüfthöhe anpeilt. Nein, die Milch muss sich auf dem Boden stapeln, sonst sieht sie aus wie Ramsch und nicht mehr wie ein Schnäppchen.

Die Niederländer sind zwar so irrational wie alle Kunden, aber sie bleiben dabei nüchtern. Sie machen aus Aldi kein Hobby wie die Deutschen. Die umfangreiche Aldidente-Literatur wurde nicht übersetzt, Titel wie „Trennkost mit Aldi“ oder „Luxus mit Aldi“ interessieren nicht. Die einzige niederländische Aldi-Fanclub-Seite im Internet ist wieder verschwunden.

Auf Niederländisch ist überhaupt nur ein einziges Buch über Aldi erschienen – geschrieben von Hanneke van Veen und Rob van Eeden, die auch in Deutschland als „geizigstes Ehepaar von Europa“ Furore machten. Massenhaft wurden ihre Knauser-Ratgeber verkauft, die etwa empfahlen, nur die sichtbaren Teile der Kleidung zu bügeln, um Strom zu sparen.

Mit ihrem niederländischen Buch „Aldi-Kunden“ wollte das Geizpaar aber keine Werbung für Aldi machen; gegen dieses Missverständnis haben sich die beiden immer gewehrt. Ihnen sei es um das „Prinzip Aldi“ gegangen – um jenen schlichten Grundsatz, dass das Leben so einfach sein kann, wenn man nur zwischen drei Sorten Käse wählen muss und nicht zwischen dreihundert.

Damit waren sie Vorreiter, man muss es ihnen lassen. Kürzlich hat die Beratungsfirma McKinsey topexklusiv bei einem „Business Breakfast“ in Frankfurt ihre neueste Trendstudie über Aldi vorgestellt. Die Haupterkenntnis klingt haargenau wie das Käseprinzip des Geizpaares: Aldis eigentliches Geheimnis sei, dass es dort nur zwei Sorten Klopapier gibt und nicht 32 wie bei Edeka. Aldi sei nicht nur billig, sondern übersichtlich. Und das ist seltener Luxus in der Globalisierung.

Aber allzu einfach darf das Leben auch nicht werden, jedenfalls nicht für Niederländer. Vor einiger Zeit wollte die Tageszeitung Trouw wissen, wie die „deutschen Zustände“ eigentlich in Deutschland aussehen. Gequält berichtete der Reporter von seinen Erfahrungen. Besonders erstaunlich war es für ihn gar nicht bei Aldi, sondern in normalen Supermärkten, zum Beispiel bei „Kaiser’s an der Berliner Fürstenberger Straße“.

Das sei ja wie in den Niederlanden vor zwanzig Jahren! „Das Angebot ist armselig. Neue Produkte wie vorgeschnittenes Gemüse fehlen. Die Reihen an den Kassen sind lang, und wenn die Kassiererin freundlich ist, dann hat sie einen guten Tag, denn das ist keine Geschäftspolitik.“

Aber, so die überraschte Zusammenfassung: „Man hört die Kunden nicht klagen.“ Das klingt nicht so, als würde der Aldisering in den Niederlanden demnächst eine Kaiserering folgen.