Eine lange Liste von Skandalen

Der Statistische Dienst der EU gibt nicht nur schlechte Meldungen heraus – sondern macht selber welche. Generaldirektor Franchet wurde nun beurlaubt

Unzufriedene Kommissionsbeamte geben Details an Lieblingsjournalisten

BRÜSSEL taz ■ 140 Pressemeldungen gibt Eurostat, der Statistische Dienst der EU-Kommission, jedes Jahr heraus. Die meisten davon sind derzeit deprimierend, betreffen sie doch Wirtschaftsdaten wie Arbeitslosenquote, Wachstumsrate und Bruttoinlandsprodukt. Doch seit Jahren sorgt auch Eurostat selber für negative Schlagzeilen. Die Liste der Skandale ist inzwischen so lang, dass gestern die EU-Kommission für die Dauer der laufenden Ermittlungen Generaldirektor Yves Franchet beurlaubte und durch seinen Kollegen vom Übersetzungsdienst ersetzte.

Der französische Chef der in Luxemburg sitzenden Statistiker ist Mitgründer der Luxemburger Firma Eurocost, die im Auftrag der Kommission statistische Dossiers erstellte und Projekte betreute. Eurocost soll Aufträge mehrfach abgerechnet und Bilanzen gefälscht haben – nach einem Bericht des Europaabgeordneten Herbert Bösch entstand der EU ein Schaden von mehr als einer Million Euro. Ähnlichen Vorwürfen geht die Pariser Staatsanwaltschaft bei der Firma Planistat Europe SA nach, die Beamte bestochen haben soll.

Auch der für Eurostat tätigen Firma Eurogramm mit Sitz in Luxemburg und Großbritannien wird zur Last gelegt, falsche Angaben über die Zahl ihrer Mitarbeiter, Leistungsfähigkeit und Arbeitsaufwand gemacht zu haben. Das ist umso pikanter, als Eurogramm an der Reform des umstrittenen EU-Buchhaltungssystems beteiligt ist, das Haushaltskommissarin Schreyer in die Schlagzeilen bringt und zum Zerwürfnis mit ihrer Chefbuchhalterin führte. Dieser Fall wiederum weist fatale Parallelen zu dem einer Eurostat-Mitarbeiterin auf, die die Missstände bei Eurogramm ihren Vorgesetzten nahe bringen wollte und aus dem Amt gemobbt wurde.

In dieses Umfeld aus Missmanagement und Korruptionsverdacht platzte Ende April die Meldung, die französische Staatsanwaltschaft ermittle gegen Eurostat wegen des Verdachts, Einnahmen aus den „Data Shops“, dem Verkauf von Statistiken an Privatkunden, in eine schwarze Kasse gelenkt zu haben. Mindestens 900.000 Euro sollen an der offiziellen Buchführung vorbei auf ein Konto der Luxemburger Sparkasse geflossen sein.

Sogar der Haushaltskontrolleur der leisen Töne, der sozialdemokratische Europaabgeordnete Helmut Kuhne, sagt inzwischen: „Was Eurostat angeht, glaube ich, dass Ausmisten sprachlich der angemessene Ausdruck ist.“ Die EU-Kommission dagegen schweigt. Ein ungewohnt zugeknöpfter Chefsprecher teilte gestern lediglich mit, für die beiden Verdächtigen, Eurostat-Generaldirektor Franchet und Abteilungsleiter Daniel Byk, gelte die Unschuldsvermutung wie für jeden anderen Menschen auch. Die Beurlaubung der beiden sei keine disziplinarische Maßnahme, sondern auf ihren eigenen Wunsch erfolgt. Selbstverständlich werde die Kommission sie dabei unterstützen, ihre Rechte zu verteidigen. Die Kommission habe aber ihrerseits Klage in Paris eingereicht, um im Fall einer Verurteilung ihren finanziellen Schaden geltend machen zu können.

Offizielle Informationen über den Stand der Ermittlungen gibt es nicht. Die Kommission verweist darauf, dass die Arbeit der Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf noch nicht abgeschlossen sei. Olaf verweist darauf, dass die Staatsanwaltschaften in Luxemburg und Frankreich ermitteln und aus diesen schwebenden Verfahren keine Details veröffentlicht werden dürften. Umso heftiger brodelt in Brüssel die Gerüchteküche. Unzufriedene Kommissionsbeamte versorgen ihre Lieblingsjournalisten häppchenweise mit Details.

Die großen Zusammenhänge bleiben derweil im Dunkeln. Die Kommission Prodi entfernt sich zunehmend von den Grundsätzen, mit denen sie vor vier Jahren angetreten war: Transparenz, Ehrlichkeit und rückhaltlose Beseitigung der Altlasten.

DANIELA WEINGÄRTNER