Grüne: „Die Tür ist zu“

Ein Interview mit Anja Stahmann zum Bildungskompromiss der großen Koalition

taz: Was halten Sie von einem Abitur in zwölf Jahren, wie es in Niedersachsen eingeführt wird?

Anja Stahmann (bildungspolitische Sprecherin der Grünen): Wer das Bildungswesen grundlegend reformieren will, muss den Kindergarten und die Grundschule stärken. Viele Länder in Europa ermöglichen es den Schülern, nach 12 Jahren Abitur zu machen. Da wird nicht nach Klasse vier getrennt, sondern für die Kinder gibt es einen flexiblen Schulstart. Wer in dieser Phase schneller lernt, verkürzt die Grundschulzeit um ein bis zwei Jahre und kann in zwölf Jahren Abitur machen. Dafür muss man nicht nach der vierten Klasse die Kinder sortieren.taz: In Niedersachsen wird anders als in Bremen streng getrennt zwischen Haupt- und Realschule mit der Begründung, den Hauptschülern helfe es mehr, wenn sie konsequent auf die berufliche Ausbildung vorbereitet werden. Stahmann: Berufliche Orientierung muss Schule für alle leisten – auch für begabungsstarke Gymnasial-Schüler. Unser Ziel war und ist eine längere gemeinsame Schulzeit aller Kinder.

taz: Es gibt manchen Anhänger der Grünen oder der SPD, der daran nicht so recht glaubt und sein Kind doch lieber auf das Alte Gymnasium schickt. Stahmann: Vom Wahlergebnis kann man ablesen, dass SPD und Grüne erfolgreich waren mit der Botschaft einer längeren gemeinsamen Schulzeit. Gymnasium heißt ja nicht, dass die Kinder da besser gefördert werden, höchstens dadurch, dass die Eltern eher Nachhilfe bezahlen können. Wir wollen insgesamt die Schule qualitativ verbessern und nicht nur das Gymnasium. Die Integration von Haupt- und Realschulen ist sinnvoll, wenn sie nicht schon nach Klasse 8 wieder aufhört, aber das ist nicht das Hauptproblem. Die Aufgabe, die Pisa uns gestellt hat, ist die Stärkung des Elementarbereiches und das Zurückdrängen der sozialen Selektion. Mit diesem Bildungskompromiss zwischen CDU und SPD wird es weiterhin zu viele Verlierer ohne Abschluss geben, die mangelhafte Integration der Migrantenkinder wird bleiben und es wird dauerhaft zu wenig Abiturienten geben im internationalen Vergleich. Das Schlimme ist, dass die Tür für eine vernünftige Bildungsreform für 10 oder 20 Jahre zu ist. Interview: Klaus Wolschner