„Die Freihandelszone ist ein Albtraum“

Sozialbündnis warnt vor gesamtamerikanischem Projekt. Mexiko verweist auf schlechte Erfahrungen mit Nafta-Zone

„Der Exportboom blieb in wenigen Branchen und transnationalen Händen“

BERLIN taz ■ Von Alaska bis Feuerland reicht das Traumland der US-Regierung, in dem ab 2005 zollfrei gehandelt und unbeschränkt investiert werden soll. „Ein echter Albtraum“, meint der mexikanische Wirtschaftexperte Alberto Arroyo vom Kontinentalen Sozialbündnis ASC, in dem Bürger und Bauern, Frauen und Indigena aus ganz Amerika gegen die geplante Freihandelszone FTAA (Free Trade Area of the Americas) mobilisieren. Trotz aller Verschiedenheit waren sich die ASC-Vertreter aus Mexiko und Brasilien, Chile und Uruguay auf einer Fachtagung der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) letzte Woche erstaunlich einig: FTAA soll verhindert, nicht verhandelt werden.

Wie die „unsichtbare Hand“ des Weltmarkts souveräne Wirtschaftspolitik knebeln kann, wissen die Mexikaner nur zu gut. Als Vorläufer für die FTAA gilt das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta), das seit 1994 Zoll- und Investitionsfreiheit zwischen Mexiko, USA und Kanada vorschreibt. Das habe für die mexikanische Wirtschaft, so Arroyo, zu „Desintegration und Denationalisierung“ geführt: Der Exportboom blieb in wenigen Branchen und zumeist transnationalen Händen konzentriert. Wettbewerbsschwächere Branchen und Betriebe können nicht mithalten mit der ausländischen Konkurrenz.

Doch Freihandelsverträge bedeuten weit mehr als die Befreiung des Güterverkehrs von lästigen Zollfesseln. Auch ausländischen Direkt- und Finanzinvestoren werden in Abkommen wie Nafta und FTAA Tür und Tor geöffnet. Als „juristische Ungeheuerlichkeit“ wertete Arroyo etwa das Klagerecht für ausländische Privatunternehmen gegen nationale Regierungen. Danach kann eine internationale Firma die Regierung des Gastlandes vor einem supranationalen Schiedsgericht haftbar machen, wenn diese durch störende Eingriffe den Investor um „erwartete Gewinne“ bringt. So geschehen im Fall eines US-Unternehmens, dem eine Kommunalverwaltung in Mexiko die Baugenehmigung für eine Giftmüllhalde verweigerte und das nach erfolgreicher Klage nun 16 Millionen Dollar Schadenersatz kassiert.

Für Unruhe sorgt zudem die anvisierte Liberalisierung von Dienstleistungen. Grundlage dafür ist das weltweit gültige Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Gats). Das existiert schon seit 1995, nun soll es präzisiert werden. Ist der Süden in Branchen wie Finanzen oder Telekommunikation ohnehin nicht konkurrenzfähig, so würden durch die weit gefasste Definition von Dienstleistungen auch öffentliche Infrastruktur wie Gesundheit, Bildung oder Wasserversorgung für ausländische Dienstleiter geöffnet. „Soziale Grundrechte würden so zu handelbaren Gütern verkommen“, warnte die brasilianische Ökonomin Sandra Quintela.

Der wundeste Punkt der Liberalisungsagenda bleibt für die südamerikanischen Ökonomien die Landwirtschaft. Während staatliche Zuschüsse im eigenen Land gesenkt werden, überschwemmen die hoch subventionierten US-Farmen und EU-Agroexporteure die Länder mit billigen Agrarprodukten. Schutz vor diesem doppelten Agrarprotektionismus, der die eigenen Märkte schützt und andere erobert, bietet die FTAA nicht. Doch auch die griffige Forderung nach Öffnung und Subventionsabbau im Norden greift zu kurz. Denn Exportorientierung begünstigt vor allem die konkurrenzfähige Agroindustrie „Es sind ja nicht die Bauern, die exportieren“, sagt die chilenische Blumenzüchterin Francisca Rodríguez vom transkontinentalen Bauernbündnis Via Campesina. Daher fordert das Bündnis „Lebensmittelsouveränität“ anstelle des offiziellen Konzepts der Lebensmittelsicherheit. Die Länder sollen nicht nur über Getreidereserven verfügen, sondern die produktiven Kapazitäten zur Selbsternährung kontrollieren.

Ob das neue Brasilien unter Präsident Lula gegen das panamerikanische Freihandelsfieber immun bleibt, ist fraglich. Hatte Lula im Wahlkampf noch gegen die FTAA polemisiert, so sind die Prinzipien angesichts der Schuldenberge heute realpolitischer Opportunität gewichen. Dazu gehört ein entspanntes Verhältnis zum Internationalen Währungsfonds und zur Bush-Regierung. Doch für die Nachbarn bleibt Brasilien Hoffnungsträger. „Wir setzen nicht auf den Präsidenten, sondern auf die sozialen Kräfte, die ihn an die Macht gebracht haben“, sagt Francisca Rodrígez.

Keinerlei Hoffnung setzen die Aktivisten des „alten Amerika“ dagegen auf den vermeintlichen Multilateralismus der Welthandelsorganisation (WTO), die sich vom 10. bis 14. September im mexikanischen Cancún zu ihrer fünften Ministerkonferenz trifft. Denn trotz aller Entwicklungsrhetorik verfolge die WTO im Prinzip „dieselbe Richtung“, sagt der Mexikaner Arroyo. Vor allem gegen die Erweiterung der WTO-Agenda um kontroverse Themen wie Investitionsschutz, Dienstleistungen und geistiges Eigentum mobilisieren die lateinamerikanischen Globalisierungskritiker. Sie wollen in Cancún nicht mit am Tisch sitzen. Sondern lieber, so das Motto der Gegenaktivitäten, „die WTO zum Entgleisen bringen“. ANNE HUFFSCHMID